Eiskalt Wie Die Suende
davon abhält, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen, es sei denn, wir haben einen wahrhaft guten Grund dafür.â
âWäre es denn nicht möglich, dass Ihr Detective Cook einen wahrhaft guten Grund hatte, diesen â wie hieà er noch mal, Cassidy? â umzubringen?â
âJohnny Cassidy. Sie denken an etwas wie Notwehr? Das kann zumindest nicht offensichtlich so gewesen sein, denn sonst würde man ihn ja nicht als Mörder suchen.â
âUndâ, fügte Viola bedächtig hinzu, âer wäre wahrscheinlich auch nicht geflüchtet.â
Nell schloss die Augen und schüttelte den Kopf. âWenn Sie ihn so gut kennen würden wie ich â¦â
âStimmt denn, was Sie Constable Skinner erzählt haben â dass Sie seit Wochen nichts von Detective Cook gehört haben?â
Nell nickte und meinte: âDas letzte Mal habe ich ihn vor zwei oder drei Wochen gesehen. Als ich mit Gracie nachmittags im Park war, bin ich ihm zufällig begegnet. Wir haben eine Weile geplaudert, über das neue Haus, das er sich gerade erst gekauft hat, und über seine Arbeit beim State Constabulary.â
âUnd von irgendwelchen Problemen im North End hat er nichts erzählt oder â¦?â
âEr meinte nur, dass er ziemlich viel Zeit dort zubringe, beruflich, was aber auch seinen neuen Aufgaben entspricht und daher nicht ungewöhnlich ist. Im North End und auch in Fort Hill, da in den irischen Slums eben die meisten Spielhöllen und Schenken und ⦠derlei Lokalitäten liegen.â
âBordelleâ, ergänzte Viola mit feinem Lächeln. âSie können es ruhig sagen â wir sind ja unter uns.â
Nell erwiderte das Lächeln. Eine von Violas einnehmendsten Eigenschaften war ihre Offenheit in heiklen Belangen â wahrscheinlich ein Relikt ihrer jungen Jahre als Bohemienne in Paris.
âEr sprach von seiner Arbeitâ, erzählte Nell weiter. âAber nur ganz allgemein. Er meinte, dass es eine sehr wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe wäre, in einer Stadt wie Boston gegen den Verfall der Sitten anzugehen. Zuletzt hätte man über dreitausend Lokale gezählt, in denen Alkohol ausgeschenkt wurde, Dutzende Spielhallen und zwischen zwei- und dreihundert ⦠âLogierhäuserâ, wie er sie nannte.â
Viola lachte leise über Cooks wohlanständige Umschreibung.
âWenn es irgendjemandem gelingen kann, in diesen Vierteln aufzuräumen, dann Colin Cookâ, sagte Nell. âEr ist ein sehr guter Polizist und durch und durch Ire. Er passt zu den Leuten, die dort leben, er weià wie sie denken, er spricht ihre Sprache. Und er hat einen sehr ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit.â
âUnd dennochâ, seufzte Viola, âscheint er nun selbst vor dem Gesetz auf der Flucht zu sein.â
Nell vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ihre Begegnung mit Skinner wühlte sie noch immer sehr auf. âIch kann mir auch nicht erklären, wie es dazu kommen konnte. Und es ist ja nicht nur Skinner, der ihn für schuldig hält. Der Präsident des State Constabulary muss ihn gleichfalls verdächtigen, sonst hätte er Skinner kaum auf ihn angesetzt. Ich habe furchtbare Angst, dass man ihn findet und ⦠Oh Gott. Bis ich vom Cape zurück bin, ist er vielleicht längst im Gefängnis â wenn nicht gar schon am Galgen! Skinner wäre es sogar zuzutrauen, dass er die Sache selbst in die Hand nimmt, Cook an Ort und Stelle beseitigt und dann behauptet, er hätte flüchten wollen. Skinner ist alles zuzutrauen.â Sie schauderte.
Viola fuhr zu Nell heran und nahm ihre Hand. âSie wollen Detective Cook helfen, nicht wahr?â
âJa, aber wie?â, erwiderte Nell mit erstickter Stimme. Tränen stiegen in ihr auf und schnürten ihr die Kehle zu. âIch ⦠ich werde auf Cape Cod sein, während Skinner hier Jagd auf ihn macht und ⦠und â¦â
âUnd Sie werden sich die ganze Zeit furchtbare Sorgen um Ihren Freund machen und sich fragen, ob man ihn wohl schon gefunden hatâ, setzte Viola hinzu.
âOder ob man ihn schon getötet hat.â
âIch könnte mir vorstellen, dass Sie in diesem Zustand für Gracie nur von wenig Nutzen sind.â
âNein, ich ⦠ich würde niemals zulassen, dass â¦â
âSie können aber nicht anders, und es wäre nur zu verständlich, denn
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