Eiskalte Angst
Fernando schien sich seiner Sache sicher. Er rechnete nicht damit, dass April seiner furchterregenden Ausstrahlung standhielt.
Und täuschte sich.
Wie ein Baseballspieler, der seiner Mannschaft zum Touchdown verhalf, legte April alle Kraft in ihren Schlag und donnerte Fernando die Glasschüssel vor den Schädel.
Fernando heulte auf und schlug impulsiv die Hände vor sein Gesicht, ein Fehler, wie sich herausstellen sollte, denn eine unsichtbare Kraft explodierte unter seinen Handflächen. Sein Kopf zuckte vor und zurück, als rissen tausend Klauen an seinen Haaren. Spritzende Funken schnellten zwischen seinen Fingerspitzen hervor und machten seine Hände für Sekunden durchscheinend wie Pergament.
Der grausige Anblick erschütterte April so sehr, dass sie rückwärts stolperte und sich erneut hinter dem Sessel verbarg. Sie versteckte ihren Kopf in ihren Armen. So hörte sie nur, was geschah. Es zirpelte und zischte, als falle Regen auf eine defekte Hochspannungsleitung und nur Sekunden später stank es nach verbranntem Fleisch. Fernando gab lediglich ein seufzendes Keuchen von sich, dann schlug sein Körper mit einer schweren Bewegung auf den Teppichboden.
Es war still.
Völlig still.
Ihr Blut jagte durch die Adern.
Ihr Atem ging schwer.
Noch immer wollte April nicht aufschauen. Sie ahnte, was sie sehen würde und alleine bei dem Gedanken daran drehte sich ihr der Magen um. Sie fror und schwitzte gleichzeitig und ihr Körper wurde von Adrenalin geschüttelt.
Eine warme Hand legte sich auf ihre Schulter. April zuckte kurz auf, dann öffnete sie widerwillig ihre Augen. Marco kniete neben ihr und strich vorsichtig und beruhigend über ihr Haar.
»Helfe ihm - heile ihn ...«, wisperte April.
»Das kann ich nicht. Die Kraft, mit der er dich umbringen wollte, richtete sich gegen ihn selbst. Er ist tot!« Ein tiefes Schluchzen stahl sich in Marcos Worte, eine Regung, die April angesichts dessen was geschehen war, befremdete.
April wollte nicht, dass er weinte, auch wenn sie nicht verstand, warum er es tat. Fragend blickte sie zu ihm hoch.
Marco drehte sein Gesicht weg. In seinen Augen lag eine tiefe Traurigkeit. Er schien zu spüren, dass April eine Erklärung erwartete, also lächelte er grimmig und sagte: »Fernando war mein Bruder!«
17
April stemmte sich an der Lehne des Sessels hoch. Ihr Blick fiel auf Fernando, der auf dem Bauch lag, das Gesicht weggedreht.
Der Mann war mausetot. Es war das erste Mal in Aprils Leben, dass sie eine Leiche sah, und spontan drehte sich ihr der Magen um und ihre Knie wurden butterweich. Auf der Toilette erbrach sie sich, spülte ihren Mund aus und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Sie vermied einen Blick in den Spiegel, raffte den Morgenmantel um ihren zitternden Körper und trat um Fassung ringend zurück in das Hotelzimmer.
In Filmen erlebten junge Frauen stets grausige Dinge und waren mutig und unerschütterlich. Okay, sie schrien hin und wieder aber letztendlich waren sie … cool ! April war nicht cool, sie war erschüttert und desorientiert.
Marco stand an der Minibar und leerte eine Colaflasche. Gierig trank er, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und sagte: »Ich hoffe, es geht dir jetzt etwas besser.«
April nickte. Noch immer fehlten ihr die Worte. Fernando, dieser unheimliche Mann, war Marcos Bruder? Sie hatte Mitleid mit Marco. Er hatte geweint, eine oder zwei Minuten nur, aber genug, um ihr Herz mitbluten zu lassen. Jetzt allerdings war sein Gesicht gelassen, und Trauer war darin nicht zu erkennen.
»Er hat es verdient ... er war ein - Killer!« Marco blickte über den Rand seines Glases zu April hin. »Gut - dann solltest du dich jetzt anziehen. Wir müssen hier verschwinden.«
»Moment.« April machte eine abwehrende Handbewegung. »Moment. So einfach ist das nicht! Glaubst du nicht, dass du mir jetzt endlich eine Erklärung schuldig bist?«
Marco lächelte sanft. Seine Augen glitzerten noch immer feucht, aber im Gegensatz zu April schien er schon wieder ganz Herr der Lage zu sein, ein Umstand, der April in Wut versetzte, denn ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie hatte keine Lust, schon wieder von Marcos Männlichkeit überrannt zu werden - immerhin war sie es gewesen, die ihm das Leben gerettet hatte. Sofort erkannte sie die Ungerechtigkeit ihrer Argumentation. So wuchs in ihr ein übermächtiges Bedürfnis, sich in seine Arme zu flüchten und diesen Mann an sich zu drücken. Sie wollte ihn – spüren ... und
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