Eiskalte Hand
sie also in dem dunklen Raum und erzählten sich gegenseitig von ihren Erlebnissen. Ranja war noch immer geladen. „Was weißt du über das Haus Xi-Yang? Was verheimlichst du uns?“, knallte er Mia die Fragen an den Kopf, die ihn die ganze Zeit über in ihrem Gefängnis beschäftigt hatten. Mia musste sich beherrschen, um dem elenden Wicht nicht an die Gurgel zu gehen. ‚War das der Dank dafür, dass sie die beiden Kindsköpfe aus dem Kerker befreit hatte?‘ Nur mit größter Mühe bewahrte sie Haltung. Dann erzählte sie leicht widerwillig von dem Amulett und ihrem Verdacht, dass das Haus Xi-Yang etwas mit dem Mord an ihren Eltern zu tun hatte. Vorsichtig achtete sie dabei darauf, nicht alle Details und Informationen preiszugeben. Je weniger die beiden wussten, desto besser war es – auch für die Männer selbst.
Jetzt stand nur noch eine Frage im Raum: Warum hatte der Gouverneur Huan und Ranja festsetzen lassen? Hatte er etwas mit den Grünhäuten zu schaffen? Die Bemerkungen des Hobgoblins, die Mia belauscht hatte, ließen sich ja in diese Richtung deuten. Aber warum sollte er so etwas tun? Wenn die Stadt an die Grünhäute fiel, dann lag das ganz wesentlich in seiner Verantwortung. Seine Karriere wäre damit vorbei. Xi-Yang hin oder her. Und vermutlich wäre auch sein Leben keinen Pfifferling mehr wert. Aber was steckte dann dahinter? Welchen Plan verfolgten der Gouverneur und seine Leute? Oder gab es ganz andere Hintermänner? Mia und die beiden Männer diskutierten lange und kontrovers über diesen Punkt. Doch am Ende standen sie immer noch mit leeren Händen da. Es fehlten ihnen die entscheidenden Teile, um das Puzzle zusammensetzen zu können.
Ranja schaute unterdessen zu dem dicken Mönch hinüber, der die ganze Zeit in der Ecke gesessen hatte, ohne ein Wort zu sagen. Es sah so aus, als sei er eingeschlafen. ‚Dessen Gelassenheit möchte ich haben.‘, dachte er bei sich und seufzte innerlich. Dann wandte er sich wieder Mia und Huan zu, die beide mit geröteten Gesichtern voreinander saßen. Die Welt um sich herum hatten sie für den Moment vergessen. Verzweiflung sprach aus den Augen des Leutnants, er konnte der klaren Ansage Mias nichts mehr entgegensetzen. „Dann soll es so sein.“, sagte er fast schon im Flüsterton. Danach herrschte betretenes Schweigen.
Kapitel 24
Laut gähnend drehte Mikan seine Runden auf der Mauer des Statthalter-Palastes. Der nächtliche Wachdienst war langweilig. Ab und zu starrte der alternde Soldat in die sternenklare Nacht hinaus. Die Silhouette der Stadt schimmerte in einem dunklen blau. Es herrschte Ruhe. Alle Welt schlief. Nur er und einige seiner Kameraden durften Wache schieben. Hurra! Mikan machte das jetzt schon seit vielen Jahren. Früher hatte er als Soldat im quandalischen Heer gedient. Irgendwann verschlug es ihn dann zur Palastgarde. Ein ruhiger, sicherer Job – so hatte er es sich vorgestellt. Und im Prinzip stimmte das auch. Doch mittlerweile war es ihm fast zu ruhig. Denn es passierte nicht wirklich etwas. Die größte Aufregung der letzten Zeit brachte die Befreiung der beiden Gefangenen und die Suche nach ihnen überall in der Stadt. Er wusste zwar nicht, was die beiden verbrochen hatten, aber dem Statthalter schien es ziemlich ernst mit der Sache zu sein. Der wachhabende Offizier war inzwischen abgelöst worden, und auch sonst hatte es ordentliche Donnerwetter gesetzt. Mikan bezweifelte, dass das viel nützte. Die Flüchtigen hatten sich vermutlich längst aus dem Staub gemacht. Und in einigen Wochen würde dann auch wieder Gras über die Sache gewachsen sein.
Erneut spähte der Soldat in die Nacht hinaus, sog die immer noch warme Luft tief in seine Lungen ein. Aus seinen Augenwinkeln meinte er plötzlich eine Bewegung zu vernehmen. Nur ein leichtes Huschen. Dennoch waren seine Instinkte geweckt. Reflexartig wirbelte er herum und hielt die Hellebarde kampfbereit vor sich. Angestrengt schaute er sich um. Konnte aber nichts entdecken. Langsam löste sich seine Anspannung. ‚Wahrscheinlich nur ein Vogel oder eine Fledermaus.‘ Unwillkürlich musste er ein wenig grinsen, und insgeheim wünschte er sich fast einen Eindringling. Nur damit endlich mal was passierte. ‚Kommt nur her, ihr Feinde. Ich werde es euch schon zeigen.‘ In seiner Phantasie nahm er es gerne mit ganzen Horden von Gegnern auf.
Mit einem kleinen Bedauern schulterte er wieder seine Waffe und machte sich erneut auf den Weg. Doch ein leises Geräusch
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