Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
zusammen und befürchtete schon, laut nachgedacht zu haben.
»Ach?«
»Ich weiß sehr wohl, was aus Gabriel geworden ist. Das habe ich die ganze Zeit gewusst.«
»Wie das?«
»Gute Kontakte bei den Behörden öffnen die meisten Türen«, sagte er mit einem gewissen Trotz, aber vielleicht auch Stolz in der Stimme.
Dann trank er einen großen Schluck Tee. Langsam stellte er die Tasse auf den Tisch. Seine Miene entspannte sich. Die Gelassenheit des Geständnisses.
Levin war nicht überrascht. Sie sah in das verglimmende Kaminfeuer. Draußen pfiff der Wind, und trotz der Dunkelheit konnte sie die weißen Wellenkämme ahnen, die gegen den Steg schlugen.
»Haben Sie ihn getroffen?«
Er zögerte. Es hatte den Anschein, als würde er verschiedene Alternativen gegeneinander abwägen.
»Haben Sie ihn getroffen?«, fragte sie noch einmal.
»Ja, vor einem Jahr. Etwa.«
Nach Jahren der Angst und Reue hatte Thord Seger beschlossen, Kontakt zu Gabriel aufzunehmen. Ihm das Recht an der eigenen Geschichte zu gewähren. Er war zu dem Schluss gekommen, dass ungeachtet des Schmerzes die Wahrheit besser sein müsse als die Ungewissheit. Irgendwo hegte er auch eine Hoffnung, die naive Hoffnung, dass die Familie in der Zukunft wieder vereinigt werden könnte. Vielleicht würde Gabriel ja seinem Vater verzeihen können, und vielleicht würde Johan in die Familie zurückkehren.
»Und wie war das?«
Lange schwieg er. Als er den Mund öffnete, war seine Stimme gebrochen. Die kräftige, geschulte Stimme, der er sich bislang bedient hatte, war verschwunden.
»Ich habe sein Leben zerstört«, sagte er und starrte zu Boden. Lord Nelson stand auf und stieß ihn mit der Schnauze an. »Was hatte ich für ein Recht, sein Leben auf einen Schlag umzukrempeln?«
Levins Bedrückung nahm weiter zu. Sie wusste nicht, wie sie weiterfragen sollte.
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
Seger schaute überrascht hoch.
»Zuletzt? Ich habe ihn nur einmal getroffen, und zwar als ich ihn an seinem Wohnort besuchte. Erst wollte er mich nicht empfangen, aber dann haben wir uns doch einige Stunden lang unterhalten, und ich erzählte ihm alles.«
»Und seither haben Sie ihn nicht mehr getroffen?«
»Nein.«
»Ich glaube, Sie sollten sich jetzt etwas ausruhen.« Levin erhob sich.
Der Stuhl schleifte über den Boden. Oder kam das Geräusch woanders her? Sie konzentrierte sich darauf. Ein erneutes Schleifen, so leise, dass es fast nicht zu hören war. Seger saß vollkommen reglos da, Lord Nelson bewegte ganz leicht den Kopf, sah Richtung Küche und legte sich dann wieder bequem hin.
Levin ging in die Diele, zog ihre Jacke an und lauschte weiter ins Innere des Hauses. Sie hörte nur, wie Seger von seinem Sessel aufstand und ebenfalls in die Diele kam. Mit nachdenklicher Miene blieb er in der Tür stehen.
»Was geschieht nun?«
»Wir werden sehen. Nichts Besonderes. Jedenfalls nicht im Augenblick«, sagte sie und öffnete die Tür. Bevor sie ins Schloss fiel, drehte sie sich noch einmal um.
»Da war noch etwas.«
»Ja?«
»Rauchen Sie?«
»Nein, das habe ich nie getan. Wieso wollen Sie das wissen?«
»Ach, einfach nur so«, meinte sie.
Levin eilte im Dauerlauf durch die Dunkelheit zu ihrem Wagen, obwohl der Fuß schmerzte. Der Rückenwind half ihr, das Tempo zu halten.
Sie nahm auf dem eiskalten Fahrersitz Platz, ließ den Motor an und trat ein paar Mal aufs Gas, damit es im Innenraum warm werden würde. Der Atem stand ihr vor dem Mund. Sie zog die Handschuhe aus und blies auf ihre Finger. Dann zog sie das Handy aus der Tasche und wählte eine Kurzwahlnummer. Sofort wurde abgehoben.
Einige Hundert Meter weiter leuchteten auf der nachtschwarzen Straße die Scheinwerfer von vier Fahrzeugen auf. Sie sah ihnen hinterher, als sie sehr schnell auf das Haus zufuhren, und fühlte sich beschämt wie eine Verräterin.
Seine Gesichtsmuskeln gehorchten ihm nicht. Er rieb sich mit den Fingern über die Wangenknochen, spürte aber nichts. Der Gewürzduft war durchdringend. Es war ihm nicht gelungen, das Glas mit dem getrockneten Thymian aufzufangen, als es über die Kante geglitten war. Er hatte reflexartig den Fuß ausgestreckt, den Fall aber nicht ausreichend abfedern können. Das Glas war auf dem kalten Steinfußboden zerschellt.
Dann hatte er Stimmen gehört.
Er hatte so still wie möglich dagestanden, obwohl die Schmerzen in Hals und Bein unerträglich geworden waren. Langsam hatte er die Tür der Speisekammer geöffnet und gelauscht. Die Tür
Weitere Kostenlose Bücher