Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
nichts.«
»Setzten Sie sich bitte. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Einen Tee vielleicht?«
»Gerne«, sagte sie und wollte ihm bereits in die Küche folgen.
»Nehmen Sie nur ruhig schon Platz. Ich komme gleich.«
Sie zuckte mit den Achseln, ließ sich auf einem der Sessel mit Blick aufs Meer nieder und spürte, wie ihre Muskeln sich entspannten.
»Hatten Sie einen stressigen Tag?«
Levin zuckte zusammen und merkte, dass sie drauf und dran gewesen war einzunicken.
»Auch nicht schlimmer als sonst«, sagte sie und nahm ihre Teetasse entgegen.
»Echt indischer. Ich hoffe, er schmeckt Ihnen.«
Levin nahm Anlauf.
»Sie haben doch gesagt, dass Sie nicht wissen, was aus Gabriel Marklund geworden ist? Dass Sie seinen Aufenthaltsort nicht kennen?«
»Ja. Warum fragen Sie?« Er streckte die Hand nach der Teekanne aus, obwohl seine Tasse noch halbvoll war.
»Ich finde es nur etwas merkwürdig. Ein Enkelkind zu haben und nicht wissen zu wollen, was aus ihm geworden ist, insbesondere wenn es sich um das einzige Enkelkind handelt«, sagte sie und versuchte, seinen Blick festzuhalten.
Er wich ihr jedoch aus und schweifte herum.
»Und da ist noch etwas, worauf ich mir keinen Reim machen kann.« Jetzt sah Seger sie wieder an.
Sein Gesicht hatte sich verändert. Innerhalb eines Augenblicks war er vor ihren Augen gealtert. Es war, als könnte er seine Gesichtsmuskeln nicht mehr kontrollieren. Die gesunde Farbe der Wangen, die ihr bei ihrem ersten Besuch aufgefallen war, war einem Grauton gewichen.
Lord Nelson kam wieder ins Zimmer, als hätte er bemerkt, wie sich die Stimmung veränderte. Der Hund ging geradewegs zu Seger und legte sich vor seine Füße, eine deutliche Abgrenzung zu Levin.
»Diese Frage kommt Ihnen vielleicht merkwürdig vor, aber … hat Johan Schläge bekommen? Ich meine, als er klein war?«
»Schläge? Nein, beim besten Willen nicht.«
»Mir ist klar, dass Sie …«
»Ich habe in meinem ganzen Leben niemanden geschlagen. Gewalt liegt mir fern«, sagte er mit Nachdruck.
Lord Nelson knurrte. Er tätschelte ihm beruhigend den Kopf.
»Was wollen Sie eigentlich? Was sind das für seltsame Fragen?«
Pia Levin bereute allmählich, dass sie sich bereit erklärt hatte, ihn alleine aufzusuchen. Was wusste sie eigentlich über Thord Seger?
»Es gibt so viele Dinge, die ich nicht begreife. Ich verstehe nicht, dass man ein wehrloses, verletztes Kind weggibt und dann einfach vergisst, als wäre es ein Gegenstand, den man weggeworfen hat. Wie kann man nur so kalt sein?« Ihre Stimme überschlug sich.
Er sah sie lange an, ohne ein Wort zu sagen. Sein Gesicht wurde womöglich noch grauer.
»Entschuldigen Sie. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich gehe jetzt«, sagte Pia Levin schließlich und wollte sich von dem Sessel erheben.
»Nein, warten Sie … Setzen Sie sich wieder. Sie haben ja Recht. Ich erzähle es Ihnen.«
Pia Levin lehnte sich im Sessel zurück und lauschte erfüllt von Trauer Thord Segers Erzählung über das Trauma, das die Familie heimgesucht hatte. Rein äußerlich sei das Leben weitergegangen. Er selbst sei Oberarzt der Logopädie geblieben. Nur wenige Monate nachdem Johan entlassen worden sei und wieder zu Hause bei der Familie gewohnt habe, habe sich seine Mutter Kerstin entschlossen, nicht mehr Teil dieser Familie sein zu wollen. Sie sei ihrer Wege gegangen und habe nie mehr von sich hören lassen.
Johan sei in ein politisches schwarzes Loch abgetaucht, was er nie habe verstehen und womit er sich nie habe abfinden können.
»Ich bin mit Lord Nelson hierher gezogen. Gewisserweise war der Kreis damit geschlossen«, sagte er.
»Wie meinen Sie das?«
»Hier haben sie sich kennengelernt. Petra und Johan. Habe ich das nicht erzählt?«
»Hier? Haben Petra und ihre Eltern hier gewohnt?«
»Ja. Eigentlich war das ein Zufall. Das Haus stand leer, und als es verkauft wurde, habe ich zugeschlagen und es renoviert.«
»Seltsam. Was hielt Petra davon?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe sie mehrmals hierher eingeladen, aber sie will mich nicht sehen.«
Pia Levin durchsuchte ihr Gedächtnis. Bislang war die furchtbare Familiengeschichte kohärent gewesen, aber jetzt hatte sie das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ein leiser Zweifel beschlich sie. Sie beobachtete Seger genau, während er sprach. Gleichzeitig versuchte sie, sich Petras streitende Familie in dem Zimmer vorzustellen.
»Aber Sie haben Recht. Ich habe Ihnen nicht die ganze Wahrheit gesagt«, meinte Seger.
Sie zuckte
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