Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
unwahrscheinlich, deswegen hatte Levin diese Hypothese beiseitegelegt. Ulf Holtz hatte ihr alle Fakten gegeben, die er über die Reichweite der Waffe zusammengetragen hatte. Wie sie auch rechnete, der Schütze musste sich innerhalb des flutlichtbeleuchteten Areals befunden haben.
»Aber dann müsste ihn doch jemand gesehen haben. Oder etwa nicht?«, meinte Holtz.
»Aber wieso hat sich dann niemand gemeldet? Wir haben schließlich unendlich viele Leute vernommen, die sich auf dem Fußballplatz befunden haben. Niemand will etwas Ungewöhnliches bemerkt haben.«
»Sind wir uns da so sicher?«
»Laut Ellen sind alle Vernehmungen bereits im Brunnen erfasst. Nichts deutet darauf hin.« Levin streckte die Hand nach einem Fruchtgummi aus, das einsam in einer Schale aus exotischem Holz auf Holtz’ Schreibtisch lag.
»Bitteschön«, sagte Holtz, als Levin die Süßigkeit in den Mund schob.
»Herzlichen Dank.«
Langsam kaute sie auf dem Fruchtgummi.
»Und was haben die Vernehmungen der Kollegen, die an dem Abend im Einsatz waren, ergeben?«
»Ich weiß nicht. Warum?«
»Ich dachte nur, dass vielleicht einer der Uniformierten etwas gesehen hat, das uns weiterhelfen könnte.«
»Vielleicht. Wir müssen Ellen fragen.«
Eine Stunde später klopfte Pia Levin bei den Analytikern an, die nun nach mehrfacher Umorganisation über ein eigenes Reich im dritten Stockwerk verfügten. Sie saßen in einem Großraumbüro mit Fenstern zum Innenhof. Eine große schneebedeckte Kastanie hinderte das Sonnenlicht daran, in den Raum zu dringen. Schon viele Leute hatten gefordert, dass man den Baum fälle, damit mehr Tageslicht in die Büros fiel, aber das hatte die Stadtverwaltung bislang zu verhindern gewusst. Die Kastanie war über hundert Jahre alt, und was ein paar wehleidige Angestellte der Polizei fanden, kümmerte den Stadtgärtner nicht. Einige unbeholfene Versuche, den Baum mit Kupfernägeln oder Pflanzengift zu vergiften, waren aufgeflogen, ohne dass die Schuldigen gefasst worden wären. Die Kastanie wuchs und gedieh weiterhin.
Pia Levin ging auf eine schon ältere Frau zu, die ihr volles weizenblondes Haar in einem Zopf trug. Sie kannte sie nur vom Sehen und glaubte, dass sie eine Art Gruppenleiterin sei. Die Frau blickte über den Rahmen der Lesebrille auf ihrer Nasenspitze, als sich Levin vor ihr aufbaute. Ihre Haut war grau, und sie roch nach Zigaretten.
»Hallo! Wie geht’s voran?«, fragte Levin.
»Womit?«, erwiderte die Frau irritiert.
»Mit den Vernehmungen nach dem Mord an Styrbjörn Midvinter. Ich dachte, Ellen …«
»Wissen Sie eigentlich, wie viel wir hier zu tun haben?«
»Nein, das kann ich nicht behaupten, aber ich vermute, dass es hier nicht anders ist als bei den meisten von uns. Es wird also viel zu tun sein«, sagte Levin mit ihrer freundlichsten Stimme.
»Dann werde ich Ihnen mal erklären, dass wir mindestens doppelt so viele Leute bräuchten, um die Arbeitsbelastung zu bewältigen.«
»Ich verstehe.«
»Wenn die Leitung dieses Betriebs nur die geringste Ahnung davon hätte, wie viel wir zu tun haben …«
»Aber …«
»Was, aber, glauben Sie etwa nicht, dass wir unser Äußerstes leisten?«, fragte die Frau mit dem weizenblonden Haar und wandte sich hilfesuchend an die Kollegin neben sich. »Man könnte schon bei weniger einen Vogel kriegen, oder?«
Pia Levin verlor langsam die Geduld und wollte schon etwas sagen, als die andere Frau sie anlächelte.
»Kommen Sie, ich helfe Ihnen. Lena kann manchmal etwas schwierig sein.« Sie lachte.
Lena warf den Kopf zurück, sodass ihr schwerer Zopf wie ein Pendel hin- und herschwang, und kehrte an ihre Arbeit zurück.
Pia Levin wusste nicht, was sie von ihr halten sollte. Die Frau wirkte leicht übergeschnappt.
»Kommen Sie«, sagte ihre Kollegin, die sich als Karen vorstellte. »Ich habe schon einige Informationen aus dem Brunnen zusammengestellt, die Ihnen möglicherweise weiterhelfen können.«
Sie bat Levin, sich einen Stuhl zu nehmen und neben ihr Platz zu nehmen. Pia Levin sah sich ratlos im Raum um, entdeckte dann aber einen freien Stuhl am Fenstertisch. Sie holte ihn und setzte sich neben die Analytikerin.
Karen öffnete das Programm, mit dem sich die Datenbank Mimers Brunnen, allgemein Brunnen genannt, durchsuchen ließ. Dort waren mehrere hundert Vernehmungen und Informationen, die die Mordermittlung betrafen, gespeichert.
»Wonach sollen wir suchen?«, fragte sie.
Levin dachte einige Sekunden nach, zupfte sich am linken Ohrläppchen
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