Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
heraus. Er hätte ihr gerne erzählt, wie glücklich er war und dass die paar Jahre Altersunterschied keine Rolle spielten, dass es in seinem Leben heller geworden sei. Aber es blieb nur bei diesem Gedanken, weil ihm klar war, dass es doch nur pathetisch geklungen hätte, und im Grunde genommen pflichtete er ihr bei. Nahid Ghadjar war jung. Sehr jung.
Dann war sie plötzlich nicht mehr ständig bei ihm gewesen. Nur ein halbes Jahr nachdem sie sich kennengelernt hatten, wurden ihre Besuche immer rarer, und das Gefühl des Sommers war nur noch als schwache Erinnerung vorhanden. Als das Semester wieder begann, hatte die Welt, aus der sie gekommen war, sie wieder vereinnahmt.
Sie fehlte ihm, aber er wollte sich nicht aufdrängen. Ein zartes Pflänzchen darf nicht zu viel Nährstoffe erhalten, das wusste er.
Holtz saß fast eine Stunde lang in die Musik und in seine Gedanken versunken da. Dann erhob er sich schwerfällig aus dem Sofa und begab sich in die Küche. Sein Körper wehrte sich. Ich muss mich mehr bewegen, vielleicht sollte ich ja mit Yoga oder diesem Tai-Chi anfangen, mit dem mir Linda in den Ohren liegt, dachte er. Als die Musik verstummte, übermannte ihn die Einsamkeit. Obwohl er so lange alleine gelebt hatte und ganz gut damit zurechtgekommen war, war er innerhalb kurzer Zeit abhängig geworden. Abhängig davon, eine Person um sich zu haben, mit der er reden und mit der er lachen konnte.
Ohne recht zu wissen, wie es geschehen war, stand er plötzlich mit dem Telefon in der Hand mitten im Zimmer. Routiniert fand er ihren Namen im Adressbuch und betätigte die Wähltaste, ehe er es sich anders überlegen konnte. Es klingelte viele Male. Er hoffte fast, dass sie nicht abheben würde, er bereute den Anruf fast schon. Schließlich hatte er ja einen Entschluss gefasst. Da hörte er, wie der AB ansprang. Ihre Tonbandstimme bat den Anrufer, eine Nachricht zu hinterlassen, dann ertönte dieses plätschernde Lachen, das sich mit einem Ciao vermischte.
Er zögerte.
»Hallo, ich bin’s. Wollte nur wissen, wie es dir geht. Es gibt weiter nichts Wichtiges. Tschüs.«
Er legte auf und blieb mitten im Zimmer stehen.
»Verdammt nochmal!«
Pia Levin machte einen dicken rosa Strich in den Ausdruck, den sie von den Analytikern mitgenommen hatte. Sie blätterte weiter und markierte erneut Zeilen mit dem Leuchtstift, ließ den Packen zu Boden fallen, seufzte und rieb sich die Augen. Nachdem sie den Papierberg zweimal durchgelesen hatte, einmal ohne Unterbrechung, das zweite Mal mit dem gezückten rosa Marker, konnte sie nur feststellen, dass die Datenbank Brunnen nichts von Wert preisgegeben hatte. Ein Beamter hatte drei junge Leute auf einem Fahrradweg, der fast parallel zu der Straße mit dem Fackelzug verlief, beobachtet. Er erinnerte sich nur an sie, weil sie es offenbar eilig gehabt hatten und ausgelassener Stimmung gewesen waren. Wären sie nicht schwarz und zwei von ihnen in Palästinensertücher gekleidet gewesen, hätte er sich nicht weiter um sie gekümmert.
»Wie gemeinhin bekannt, muss man solche Leute ganz besonders im Auge behalten«, hatte er gesagt und auf einen Vortrag der Sicherheitspolizei über autonome Gruppen verwiesen.
Pia Levin hoffte, dass die Kursusleiter dies etwas nuancierter dargestellt hatten. Sie vermerkte am Seitenrand, dass der Mann, der sie überfallen hatte, vermutlich ebenfalls ein solches Tuch getragen hatte.
Auch die zweite Vernehmung betraf eine kleinere Gruppe, Rentner, die die Marschierenden beschimpft hatten, als sie durch ihren Ort gezogen waren. Einer der älteren Herren hatte einen Stein aufgehoben und in die Reihen der Marschierenden geworfen, ohne jemanden zu treffen. Bevor die Situation ausartete, waren die randalierenden Rentner von drei kräftigen Beamten abgedrängt worden und hatten ohne weitere Proteste das Feld geräumt.
Auch die dritte Information aus dem Brunnen war ihrer Meinung nach vollkommen bedeutungslos. Der Eintrag stammte von einer Beamtin, die eventuelle Gegendemonstranten hatte bewachen sollen.
»Ich folgte dem Demonstrationszug kurz hinter der Spitze und behielt dabei die Umgebung der Marschroute im Auge. Etwa einen Kilometer vor dem Platz, der als Ziel des Demonstrationszuges vorgesehen war, nahm ich eine Person wahr, wahrscheinlich männlich, die sich ein Stück innerhalb des Waldes am Wegesrand aufhielt. Der Mann urinierte an einen Baum.«
Pia Levin fragte sich, warum in aller Welt die Polizistin einen Polizeibericht über einen pinkelnden Nazi
Weitere Kostenlose Bücher