Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
Brunnen erfahren hatte. Wie sie von den Analytikern empfangen worden war, beschrieb sie ebenfalls sehr anschaulich.
Ulf Holtz lachte trocken.
»Ist das etwas, dem wir nachgehen sollten? Was meinst du?«, fragte sie.
Er ließ den Blick über den Speisesaal schweifen. Weitere Hotelgäste waren zum Frühstück erschienen. Wieder verweilten seine Augen bei dem prächtigen Kronleuchter. Er strich sich geistesabwesend über die Wange.
»Tja, ich weiß nicht. Lies mir das mit dem Mann, der gegen den Baum pinkelte, noch mal vor«, sagte er.
»Eine Beamtin hat berichtet, sie habe nicht weit vom Ende der Marschroute einen Mann gegen einen Baum urinieren sehen. Ich begreife nicht ganz, weshalb sie dieses Detail überhaupt der Erwähnung wert befunden hat, und habe sie deswegen angerufen.«
»Und?«
»Sie konnte es nicht richtig erklären. Irgendwie war ihr dieser Mann eingefallen, als alle gebeten worden waren, ihre Beobachtungen zu melden. Da sei etwas gewesen, sie wusste aber nicht recht, was.«
»So seltsam klingt das doch nicht, dass jemand ein paar Schritte in den Wald geht, um zu pinkeln, oder?«
»Ich dachte nur, dass es vielleicht etwas mit Schnüfflerinstinkt und Intuition zu tun hat.«
»Und die anderen Aussagen?«
»An die alten Leute glaube ich keine Sekunde. Und die jungen … vielleicht. Ich habe mit Ellen geredet. Sie setzt jemanden auf die jungen Leute an. Mal sehen, wo das hinführt.«
»Wir sollten vielleicht erst einmal versuchen rauszukriegen, wo dieser pinkelnde Neonazi stand. Vielleicht finden wir dort ja was. Sehr viel mehr haben wir nicht in der Hand. Weißt du ungefähr, wo das war?«
»Ich habe es mir beschreiben lassen. Sollen wir hinfahren?«
Holtz dachte ein paar Sekunden lang nach.
»Okay, aber erst muss ich noch mein Frühstück aufessen.« Er biss herzhaft in sein Käsebrötchen.
Pia Levin packte ein großes Stück Camembert auf eine Scheibe Roggenbrot und kaute genüsslich. Das Ganze spülte sie mit einem Glas frischgepresstem Orangensaft herunter. Anschließend trank sie dann noch einen Himbeersmoothie.
Holtz blieb während der Fahrt auf der Überholspur. Die weiße Landschaft zog rasch vor den Fenstern vorbei. Die ersten Kilometer war die Bebauung sehr dicht: hohe Wohnhäuser im Hintergrund, Supermärkte und Autohäuser in unmittelbarer Nähe der Autobahn. Aber nach und nach ließen sie alles Großstädtische hinter sich, Tannenwälder und Felder wechselten sich ab. Ulf Holtz dachte an Nahid. Sie hatte sich nicht gemeldet, obwohl er ihr eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte. Seine Sehnsucht und sein Missmut darüber, dass er sich ihr so aufdrängte, mischten sich mit Besorgnis. Vielleicht war ja wirklich etwas passiert? Wann hatte er eigentlich zuletzt von ihr gehört? Vor drei Tagen hatte sie ihm eine SMS geschickt. »Ich melde mich.« Sonst nichts. Kein »Kuss« oder »Du fehlst mir«. Nicht einmal das blinkende Smiley, mit dem sie sonst immer ihre Nachrichten zu beenden pflegte. Je länger er nachdachte, desto besorgter wurde er. Das Gefühl, etwas unternehmen zu müssen, wurde immer stärker. Hätte nicht Levin neben ihm gesessen, dann hätte er nochmals versucht, Nahid zu erreichen.
Er beschleunigte noch mehr. Pia Levin sah ihn fragend von der Seite an, sagte aber nichts. Bald hatten sie die Abfahrt zum kleinen Ort Stjerneby erreicht, in dem einige Tage zuvor der Mord verübt worden war.
Holtz drosselte die Geschwindigkeit und hielt sich knapp über dem Tempolimit. Während sie durch den Ort fuhren, fiel ihm auf, wie trostlos alles war. Ein Hund war vor dem Lebensmittelladen neben dem U-Bahnhof festgebunden. Er wirkte einsam. Nichts erinnerte an die Aufruhrstimmung vor ein paar Tagen. Er versuchte, sich an die Polizisten mit ihren Schilden und Schlagstöcken zu erinnern, sich junge Demonstranten, zerbrochene Glasflaschen, marschierende Neonazis und einen lärmenden Hubschrauber vorzustellen, aber er konnte das Bild nicht festhalten, als wäre das alles nie geschehen.
Nach einigen Minuten erreichten sie den Fußballplatz. Sie parkten bei der noch vorhandenen Absperrung, die jedoch nicht mehr bewacht wurde. Die operative Leitung war der Meinung gewesen, kostenintensives Personal vor Ort sei überflüssig, und die Absperrung könnte eigentlich auch aufgehoben werden. Aber Holtz hatte nicht nachgegeben, deswegen hingen die blau-weißen Flatterbänder immer noch. Pia Levin zog eine Landkarte aus einer der Taschen am Bein ihrer dicken schwarzen Hose. Sie
Weitere Kostenlose Bücher