Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
fliehen, saß einfach mit dem scharfen Gegenstand in der Hand da und sah Johan Seger mit ausdrucksloser Miene an.
Dann schwang sie unbekümmert die Beine über die Kante des Bootes und ging weg, ohne sich umzudrehen. In das Plastik des Bootes waren die Buchstaben »P.J.« geritzt. Er betrachtete die Buchstaben, und sein Zorn wurde von Bewunderung abgelöst. Wer war dieses schwarzgekleidete Mädchen, das so mutig war? Das es wagte, ihn so respektlos herauszufordern?
Seit diesem Tag ging Petra Johan nicht mehr aus dem Sinn.
Nach dem Vorfall umkreisten sie sich wie zwei Kampfhunde, die ihre Kräfte messen. Als es August wurde, waren ihre Kreise zu einem geworden. Johan Seger hatte sich in Petra Jonsson verliebt, und sie sich in ihn.
Irgendwann im Spätherbst erfuhr Petra, dass sie wieder in die Stadt zurückziehen musste. Ihre Eltern hatten schließlich eingesehen, dass sich eine Ehe nicht mit einem Haus auf dem Land retten ließ oder jedenfalls ihre nicht. Nach diesem Entschluss verschwanden Johan und Petra von der Bildfläche.
Tagelang suchten immer verzweifeltere Eltern sowie Polizei und Freiwillige nach ihnen. Plötzlich kehrten sie ohne eine Erklärung zurück. Petra äußerte kurz und bündig, sie gedenke nicht, Johan zu verlassen, außerdem sei sie schwanger.
Als sich die Aufregung gelegt hatte, stellte ihnen das Jugendamt eine Wohnung zur Verfügung. Petras Eltern zogen weg, und Johans versprachen, sich um sie zu kümmern. Alles schien seinen Gang zu gehen. Da geschah es plötzlich.
Das, worüber in dem kleinen Ort noch lange gesprochen werden würde.
Ihr etwa einjähriger Junge, auf den Namen Gabriel getauft, kam am späten Abend zusammen mit seinen Eltern in das Ärztehaus. Der Junge wies Knochenbrüche auf und ein Gehirntrauma, das darauf hindeutete, dass das kleine Kind heftig geschüttelt worden war.
»Als er aus der Haft entlassen wurde, war er ein ganz anderer Mensch«, sagte Pia Levin. »Er zog nicht wieder zu Petra. Nachdem er ein paar Monate bei seinen Eltern gewohnt hatte, zog er in die Stadt, wohnte jahrelang zur Untermiete und jobbte herum.«
Pia Levin atmete aus, als hätte sie sich körperlich verausgabt.
»Und was geschah dann?«, fragte Ulf Holtz, als sie nicht weitererzählen zu wollen schien.
»Wie? Was meinst du?«
»Wieso und wann wurde er Neonazi?«
»Ich weiß nicht. Thord Seger konnte seinem Sohn nie verzeihen. Nachdem er ausgezogen war, hatten sie keinen Kontakt mehr.«
»Und was wurde aus Gabriel?«, fragte Ellen Brandt, die Levins Erzählung gebannt gelauscht hatte.
Pia Levin sah aus, als hätte ihr jemand eine vollkommen abwegige Frage gestellt.
»Das weiß ich nicht. Zu diesem Punkt kamen wir nicht mehr.«
Ellen Brandt nickte nachdenklich und massierte sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. Ihre Haut wurde ganz rot davon.
»Anscheinend gibt es noch einiges herauszufinden, was das Leben Johan Segers betrifft. Einer unserer Ermittler ist bereits damit befasst, aber vielleicht wäre es ja nicht schlecht, wenn du uns dabei behilflich wärest«, sagte sie zu Levin.
»Aber, verdammt, ich …«
»Natürlich hilft sie euch«, sagte Holtz. Er legte Levin eine Hand auf den Unterarm. Sie sah erst auf seine Hand und dann fragend in seine Augen. Er nickte fast unmerklich, und sie schluckte die Frage herunter, die ihr auf der Zunge lag. Stattdessen brummelte sie etwas Unverständliches, erhob sich und ging.
»Gut. Dann sind wir uns also einig«, meinte Ellen Brandt in ihre Richtung. Sie wandte sich an Holtz.
»Was ist eigentlich mit ihr los?«
»Sie ist etwas sensibel, wenn es um Kindesmisshandlung geht.«
»Ach? Das wusste ich nicht. Sollen wir jemand anderen heranziehen?«
»Nein, das finde ich nicht. Sie kommt schon zurecht«, sagte Holtz.
U lf Holtz rieb sich die Wange, als Pia Levin in sein Büro trat.
»Was machst du?«, fragte sie.
»Ich glaube, ich habe Zahnschmerzen.« Er rieb sich die Wange noch fester und verzog gleichzeitig das ganze Gesicht.
»Willst du nicht zum Zahnarzt gehen?«
»Vielleicht geht es ja vorbei.«
»Warum sollte es vorbeigehen? Wenn man Zahnschmerzen hat, muss man etwas dagegen unternehmen.«
»Mal sehen. Hast du zufällig Schmerztabletten?«
»Nein, aber die lassen sich sicher auftreiben. Warte hier, dann besorge ich dir ein paar«, sagte Levin und verschwand.
Der dumpfe Schmerz wollte einfach nicht nachlassen. Er war auch stärker, als er Levin gegenüber hatte eingestehen wollen. Während er wartete, sah er sich ein paar Fotos
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