Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
waren vor Müdigkeit und Frustration gerötet.
Sie erwog, Holtz anzurufen, wusste aber, dass er zu dieser Tageszeit auch nichts unternehmen konnte. Außerdem hatte er sich nie sonderlich für ihre arbeitsbezogenen Ängste und Zweifel interessiert. Ihn mitten in der Nacht anzurufen und Trost zu suchen, würde zu nichts führen. Sie arbeitete schon ewig mit Ulf Holtz zusammen, und sie hatten sich immer verstanden. Sie fühlte sich gleichberechtigt, obwohl er ihr Chef war. Sie hatte sich stets für ihn eingesetzt, wenn er sich unbeliebt gemacht hatte, wie damals bei dem Fall mit dem Minister, der seine Frau misshandelt hatte. Damals wäre Holtz fast gefeuert worden, aber obwohl ihm Levin während dieser Angelegenheit etwas nähergekommen war, konnte sie nicht behaupten, dass sie Freunde waren. Vermutlich besaß er keine Freunde. Aber das ist bei mir ja auch nicht anders, dachte sie und fischte die letzte Gurke aus dem fettigen Glas. Sie wischte sich die Hände an ihrer Hose ab, die ohnehin in die Wäsche musste.
Ihre Gedanken kehrten zu dem roten, windgepeinigtenHaus am Meer zurück, das sie an diesem Abend besucht hatte.Sie hatte sich erst nach Mitternacht auf den Heimweg gemacht, und als Allererstes würde sie am nächsten Morgen darum bitten, von weiteren Nachforschungsaufträgen, die die Familie Seger betrafen, verschont zu bleiben. Schließlich arbeitete sie für den Erkennungsdienst und nicht für das Dezernat für Gewaltverbrechen. So wie sich die Sache entwickelte, war es das Beste, wenn jemand anderes die Sache übernahm.
Egal wer, nur nicht sie selber.
Pia Levin leerte das Weinglas und überlegte, ob sie noch mehr trinken sollte, nahm dann aber davon Abstand, als sie sah, dass es schon drei Uhr war. In wenigen Stunden würde sie berichten müssen, wie die Vernehmung des Vaters des ermordeten Neonazis verlaufen war.
Ich muss schlafen, dachte sie.
Mit Johan Segers elender Vergangenheit würde sie sich morgen wieder befassen.
Ulf Holtz war für seine Besprechung bereits zu spät dran, als er den Code eingab und die Karte durch das Lesegerät zog. Aber noch ehe er durch die Schwingtür gehen konnte, hörte er, wie sein Name gerufen wurde, und als er sich zu der Stimme umdrehte, wurde die Tür wieder gesperrt. Holtz fand, dass Pia Levin sehr müde und alles andere als fit aussah. Sie wirkte regelrecht ungewaschen und verfleckt.
»Pia! Was ist los?«, fragte er und eilte auf sie zu. Sie saß auf einem der wenigen Besucherstühle in dem großen Foyer. Er hatte sie nicht bemerkt, als er durch den Eingang geeilt war.
»Warum sitzt du hier?«
»Ich will mit dir allein sprechen. Unter vier Augen.«
»Dann gehen wir halt rauf.«
»Können wir nicht woanders hingehen. Mir geht es nicht gut.«
»Bist du krank?«
»Nein, ich bin nicht krank. Aber ich will mit dir sprechen. Können wir nicht ein Weilchen hinausgehen?«, fragte sie.
Holtz dachte einen Augenblick an die Besprechung, die bereits begonnen hatte, aber Pia Levins flehender Blick veranlasste ihn, diesen Gedanken beiseitezuschieben, seine Jacke zuzuknöpfen und ihr nach draußen zu folgen.
Man ahnte kaum noch, dass es vor einigen Tagen noch eiskalt und verschneit gewesen war. Die Straßen waren schneefrei, und nicht einmal die von den Schneepflügen aufgeworfenen Schneewälle hatten dem Wetterumschlag standhalten können, sondern hatten sich in graue Berge aus Schneematsch und Sand verwandelt.
Seite an Seite gingen sie schweigend einen Häuserblock weit, bevor Pia Levin begann.
»Du findest sicher, dass ich mich komisch benehme.«
»Ich weiß nicht recht, aber ich frage mich natürlich, warum wir nicht einfach im Büro reden können.«
»Ich hatte das Bedürfnis, mit dir allein zu sprechen, ohne andere Leute treffen zu müssen. Außerdem brauche ich etwas frische Luft.«
»Schon okay.«
»Wie du weißt, bin ich gestern zu Thord Seger gefahren, um ihn zu vernehmen.«
»Ja. Ich habe das schließlich genehmigt. Wie ist es gelaufen?«
»Gut. Aber ich will mit der Sache nichts mehr zu tun haben.«
»Wie meinst du das?«
»Ich bin mir bewusst, dass Personalknappheit herrscht, aber ich bin Erkennungsdienstlerin und …«
»Du weißt, dass in diesen Fragen nicht ich entscheide. Alle haben viel zu tun, und auch wir müssen schließlich mit einigen Hintergrundrecherchen aushelfen können.«
»Du weißt nicht, was sich Johan Seger hat zuschulden kommen lassen, oder?«
»Sicherlich eine Menge Untaten und bestimmt ganz viele Dinge, von denen wir keine
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