Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
rasch.
»Sie wissen nicht, was aus Ihrem eigenen Enkelkind geworden ist?«
»Ich weiß natürlich, dass er zur Adoption freigegeben wurde, aber ich weiß nicht, wer ihn adoptiert hat. Das meinte ich.«
»Sie haben keine Ahnung?«
»Nein. Ich habe auch nie versucht, es herauszufinden.«
»Warum nicht?«
Er schwieg eine geraume Weile. Sie sah, dass er nachdachte. Er zögerte.
»Warum nicht?«, fragte sie noch einmal.
»Gabriel wäre beinahe gestorben. Das wissen Sie? Mein Sohn hätte beinahe mein Enkelkind getötet. Ich habe mich geschämt. Ich weiß, dass das irrational ist, aber ich empfand solche Scham und solche Schuld, dass ich es einfach geschehen ließ. Die Adoption war vermutlich das Beste für ihn. Er sollte nie an uns erinnert werden, an die Familie, die ihm so viel Leid zugefügt hat.«
Er beendete den Satz flüsternd.
Pia Levin befürchtete, dass er verstummen würde. Sie beugte sich vor und legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Ich verstehe. Das tut mir aufrichtig leid. Sie haben also überhaupt keine Ahnung, was aus Gabriel geworden ist?«
»Nein. Ich weiß nicht einmal, wie er heute heißt.«
»Und Johan, wie oft haben Sie ihn getroffen, nachdem er hier ausgezogen war?«
»Wir haben uns nie wieder gesehen. Ich habe nichts von ihm gehört und habe auch keinen Versuch unternommen, ihn ausfindig zu machen. Und jetzt ist es dazu zu spät«, sagte er und erhob sich hastig. »Ich habe einiges zu tun. Hatten Sie noch weitere Fragen?«
»Nein. Im Augenblick nicht, aber vielleicht darf ich noch mal wiederkommen, falls noch etwas auftauchen sollte?«
»Natürlich.«
Er begleitete sie zur Tür und half ihr in die Jacke.
Auf dem Weg nach draußen drehte sie sich zu ihm um.
»Möchten Sie, dass ich in Erfahrung bringe, was aus Gabriel geworden ist?«
»Nein. Ich will, dass Sie ihn in Frieden lassen. Er lebt ein den Umständen entsprechend gutes Leben und weiß wahrscheinlich nichts über seinen Hintergrund. Lassen Sie ihn in Ruhe«, sagte er mit Nachdruck. In diesem Augenblick erschien Lord Nelson, als hätte er die Veränderung der Stimmung gespürt.
Sie nickte nur. Dann gab sie Thord Seger die Hand, tätschelte dem Hund den Kopf, drehte sich um und ging. Nach ein paar Metern sah sie sich noch einmal um. Die Tür war geschlossen.
Langsam ging sie zum Auto zurück. Sie genoss das kühle Wetter und holte ein paar Mal tief Luft. Seltsam, dachte sie, sehr seltsam.
Sie stieg ein und ließ den Motor an. Auf dem Beifahrersitz lag die Mappe, die sie während ihres Besuches im Auto gelassen hatte. Sie klappte sie auf und nahm einige von ihr mit roten Haftnotizen markierte Blätter heraus.
»Adoptionszentrum« stand ganz oben auf dem Papier. In der Mitte war ein großer rechteckiger roter Stempel: »Streng vertraulich«.
Sie blätterte weiter und las die ersten Zeilen der zweiten Seite: »Beschluss betreffend die Adoption von Gabriel Seger«.
E llen Brandt war verspätet. Im Saal herrschte wie immer eine ausgelassene Stimmung. Pläne für das Wochenende wurden lebhaft diskutiert. Pia Levin saß allein an der schmalen Seite des Tisches und überlegte, ob sie zu der Besprechung etwas beizutragen hatte. Sicherheitshalber notierte sie sich ein paar Stichworte.
Brandt stürmte in den Raum und nahm gegenüber von Levin Platz.
»Entschuldigt die Verspätung. Sind alle da?« Sie wartete die Antwort nicht ab. »Mal sehen. Will jemand anfangen?«
Alle schwiegen.
»Okay, dann trage ich vor, was sich bislang ergeben hat. Wie ihr sicher wisst, wurde ein geheimer Raum in dem Hauptquartier der Neonazis entdeckt.«
»Adlerhorst, heißt es nicht so?«, fragte der hinzugezogene Beamte von den Wirtschaftsstrafsachen.
»Doch, oder es hieß so, muss man wohl eher sagen. Ich vermute, dass ihr alle wisst …«
»Dass wir angeschmiert sind«, fuhr der Ermittler fort, und alle am Tisch außer Brandt und Levin begannen zu lachen.
In diesem Augenblick betrat C. den Raum, und das Gelächter verstummte.
»Ich hoffe, das hier ist noch eure Mittagspause, denn in der Arbeitszeit gibt es nichts mehr zu lachen.«
Alle schwiegen, da sie unsicher waren, ob es wirklich als Witz gemeint war.
»Ich will nicht stören«, fuhr C. mit einer Miene fort, die nicht erkennen ließ, was sie wirklich dachte.
Die Ermittlungslage sei recht gut, meinte Brandt. Johan Segers Tod würde noch einiges an Arbeit erfordern. In den letzten Tagen habe die operative Leitung mehrere denkbare Szenarien entworfen. Jetzt gehe es nur noch darum, die Arbeit
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