EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
Seitenfenster des BMW.
Kreiler ließ das Fenster herunter. „Alles erledigt?“
Er spürte, wie er zornig wurde. „Alles erledigt“, sagte er. „Vielen Dank noch mal.“ Er hielt ihm das Handy hin. „Ich soll Sie von meinem Boss grüßen. Er hat ihre chirurgische Meisterleistung sehr gelobt, Professor.“ Er wartete, bis Kreiler das Handy entgegengenommen hatte. „Wollen wir das Geschäftliche in Ihrem oder meinem Wagen besprechen?“
Kreiler lächelte. „In meinem. Steigen Sie ein. Ich möchte endlich jede Einzelheit erfahren.“
Der Pole lachte – ein knabenhaftes, ansteckendes Lachen, das ein für alle Mal das Eis brach. Die Bestie hatte jetzt die Oberhand. Die Schmerzen in seinem Kopf strahlten in seine Zähne und seinen Kiefer aus.
„Womit soll ich anfangen, Professor? Mit der Art und Weise, wie ich sie getötet habe, mit ihren Schreien, mit ihren Ängsten, mit ihren Qualen? Womit soll ich anfangen?“ Er rieb seine Hände und stieß eine frostige Atemwolke aus.
„Mit dem Einsteigen“, sagte Kreiler und lächelte.
Der Pole ging vorn um den BMW herum und schlang dabei die Arme um sich. Hinter dem Auto herumzugehen, das Sichtfeld des Mannes zu verlassen, könnte Kreiler argwöhnisch machen. Er wartete ruhig neben der Beifahrertür.
Kreiler langte über den Beifahrersitz hinweg und öffnete sie.
Er stieg ein und streckte ihm seine Hand hin. Kreilers Hand zitterte.
„Pawel Kubanek“, sagte er. „Es muss da draußen minus ein Grad sein, zumindest fühlt es sich mit dem kalten Wind so an.“
Kreiler schien verwirrt, als er seine Hand wieder losließ, vermutlich, weil sie nicht kalt war.
Im Wagen sagte der Pole: „Ich erwähne gerne jedes Detail.“
Kreiler grinste. „Das wäre wirklich reizend.“
Nun ging er zum Angriff über. „Mit wem soll ich beginnen, Professor Kreiler?“, fragte er.
„Mit …“ Kreiler zögerte. „Schildern Sie mir nur, wie Sie sie getötet haben.“
Er überschlug es im Stillen. Er hätte Kreiler nach dem Warum fragen können, doch die Antwort darauf würde ihm keinen Zugriff auf seine Seele erlauben.
„Maryam Krasinski …“, begann er.
„Nein, den zuletzt“, sagte Kreiler.
„Sie haben die Reihenfolge bestimmt, Professor.“ Er ließ nicht locker und lächelte ihn freundlich an, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen. „Und ich glaube zu wissen, warum.“
„Die Taten dieser Männer haben mir viele Jahre den Schlaf geraubt. Sie haben mich als Kind gequält“, erwiderte Kreiler.
Pawel Kubanek wusste: Jetzt stand er an der Schwelle zu Kreilers innerster emotionaler Welt.
„Es werden viele Kinder gequält“, sagte er. „Aber es sind nur wenige, die als Erwachsene ihre Peiniger auf so grauenvolle Art und Weise ins Jenseits befördern lassen.“
Kreiler schwieg.
Der Pole musterte ihn, sah das Zögern in seinem Gesicht.
„Ich musste zusehen, wie Krasinski und seine Männer meinen Großvater und seine Gäste töteten“, antwortete Kreiler. „Jeden einzelnen bestialischen Mord musste ich mit ansehen. Zuerst töteten sie seine Gäste, danach brachten sie mich zu meinem Großvater …“
„Er hat sich immer über Sie lustig gemacht, Professor“, behauptete der Pole provozierend.
Kreiler blickte erstaunt auf. „Woher wissen Sie … Er hat mich beim Rommé immerzu aufgezogen“, gestand er.
„Wie alt waren Sie?“
„Als es richtig schlimm war?“ Kreiler zuckte mit den Achseln. „Fünf? Nein, sechs.“
„Und wie alt war Ihr Großvater?“
„Fünfundsechzig.“ Kreiler sah ihn plötzlich verstört an, als könne er nicht verstehen, warum er einem Fremden solch intime Dinge erzählte. „Möchten Sie meine Geschichte hören?“
Pawel nickte.
„Am 20. Juli 1971 drangen fünf maskierte Männer der polnischen Widerstandsbewegung Malinka in das Haus meines Großvaters ein. Sie kennen ihre Namen: Maryam Krasinski, Michail Heptna, Sedar Biljano, Mirko Selicz und Anton Zagár. Mein Großvater beherbergte an diesem Abend die Übernachtungsgäste Anton Kemper, Edgar Wilhelms, Karl Nüsker und Staatsanwalt Dr. Rüdiger Specke, die aufgrund eines schweren Abendessens und reichlichen Alkoholkonsums in ihren Zimmern tief und fest schliefen. Keiner von ihnen ahnte, dass das Haus an diesem Abend von Krasinski und seiner Anhängerschaft beobachtet wurde. Die Ermittlungen der Polizei ergaben, dass die Männer das Haus seit Wochen observiert hatten. Der Grundriss wurde während eines Einbruchs in die Büroräume des Architekten Steiner, der unser
Weitere Kostenlose Bücher