EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
Haus gebaut hatte, entwendet; unsere damalige Köchin hatte ihrem Liebhaber Maryam von dem geplanten Abendessen erzählt. Wie Katzen schlichen sie in die obere Etage. Sie kannten jeden Winkel, jedes Zimmer, jeden Fluchtweg. Sie kommunizierten über Gebärdensprache. Sonst sprachen sie polnisch. Jeder hatte ein Schlafzimmer im Visier und wartete auf das Zeichen des Anführers, die Türen einzutreten und die Schlafenden zu töten. Doch zunächst weckten sie mich und brachten mich zu Krasinski, der mich kurz musterte. Danach schleppten sie mich von Zimmer zu Zimmer und zwangen mich, mit anzusehen, wie jeder einzelne Befehl Krasinskis auf das Brutalste ausgeführt wurde. Eine Videokamera surrte dabei friedlich vor sich hin. Zuletzt brachten sie mich ins Schlafzimmer des Richters, den Krasinski inzwischen an einen Stuhl gefesselt und geknebelt hatte. Ich war vor Angst erstarrt. Krasinski gab seinen Männern den letzten Befehl und wiederholte ihn für uns in deutscher Sprache. Rächt euch für das, was er uns angetan hat! Tötet den Richter! Mir lief Urin am Bein entlang, als Krasinski meinem Großvater ins Gesicht spuckte. Er fesselte mich an das Bett, so dass Großvater mich im Blickfeld hatte. Dann drehte Krasinski sich um und schrie: Doch vorher soll er gebrochen werden. Gebrochen wie der achtzehnjährige Maryam, über den er am 13. Oktober 1944 im Namen des deutschen Volkes das Urteil verkündete! Aktenzeichen: StPL 1. Sen. 3625/42 – RKA I 1251/44. Dann strich er mir die Haare aus der Stirn . Heute wirst auch du erwachsen werden, zischte er. Wir wissen, was er mit dir auf dem Dachboden gemacht hat. Er wird dich nie wieder anfassen. Ich verspreche es dir. Ich zitterte am ganzen Körper. Das … das ist ja nicht so schlimm, schluchzte ich. Aber … aber sonst bin ich ein ganz netter Junge. An meinem Kinn klebte noch immer etwas Schokolade, ja sogar an meinem Oberschenkel, wo ich mir die Finger abgewischt hatte, war ein dunkler Streifen zu erkennen. Krasinski klebte mir den Mund mit Klebeband zu und schnippte mit den Fingern. Dann pflanzte er sich provozierend vor Großvater auf und schrie: Finale! Er lachte hässlich auf und gab mit seiner linken Hand ein Zeichen. Ein Mann schaltete den Fernseher ein und legte eine Kassette in den Videorekorder. Als Krasinskis Männer drei Stunden später das Haus verließen, lebte außer mir niemand mehr. Ich trank die Milch, dazu knabberte ich Salzstangen und starrte auf den flackernden Bildschirm des Fernsehers. Gezeigt wurde ein Film aus dem Jahr 1944.“
Pawel schloss seine Augen und genoss das Gift, das aus Kreilers emotionaler Wunde floss.
„Er hat mich …“, flüsterte Kreiler. Er atmete schwer. „Ich will das nicht alles wieder wachrufen. Wenn Sie mir jetzt Ihre Aufzeichnungen geben könnten, wäre das wirklich sehr nett. Dann können wir auch das Finanzielle hinter uns bringen.“
Pawel sah Kreiler an. „Hat er Sie … Pipisuse genannt?“, fragte er.
Kreiler wurde rot.
„Es klingt wie das Ende der Welt“, fuhr Pawel fort. „Besonders wenn man danach einen Schwanz in den Arsch gesteckt bekommt, nicht wahr? Oder hat der Richter Sie dahingehend in Ruhe gelassen?“
Pawel sah den sechsjährigen Konstantin Jörg Kollmann in heruntergelassenen marineblauen Knickerbockern, neben ihm sein Großvater, dessen Blick lüstern auf seine kleinen, festen Pobacken gerichtet war. Pawel fixierte Kreiler, in der Hoffnung, dass er seine Psyche weiter entblößen und mit ihm in den warmen See des Leidens eintauchen würde.
„Und was sonst noch?“, hakte er nach.
Kreiler starrte ihn an, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht.
„Was hat Ihr Großvater noch mit Ihnen angestellt?“
Kreiler schüttelte den Kopf.
„Hat er zugesehen, als die Männer Sie angefasst haben?“, fragte Pawel ruhig.
„Das geht Sie wirklich nichts …“
Pawel wollte den kleinen Jungen, er brauchte den Kleinen. „Sie können es mir erzählen“, versicherte er Kreiler. „Sie können mir alles erzählen.“
„Nein“, sagte Kreiler.
Pawel konnte förmlich hören, wie der Riegel vorgeschoben wurde und ihn ausschloss.
Kreiler nahm einen Umschlag aus dem Handschuhfach. „Hier haben Sie Ihr Geld. Gehen Sie jetzt bitte.“
„Mir gegenüber muss Ihnen nichts peinlich sein“, sagte Pawel. „Ich habe schon alles gehört, was es zu hören gibt.“
Kreiler versuchte sich ein Lächeln abzuringen.
Pawel starrte ihn an, dann schluckte er schwer. Das Pochen in seinem Schädel hatte wieder angefangen.
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