EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
Luft holte. Dann trat er sie mit Wucht ein. Etwas fiel klirrend auf den Boden.
Im Raum war es dunkel. Stille. Dann ein leises Stöhnen, das von dem Bett kam. Er tastete nach dem Lichtschalter.
Im Bruchteil einer Sekunde brannte sich das Bild ein: Anna, die gefesselt auf dem Bett lag.
Draußen hörte er die Sirenen von Polizeifahrzeugen und einem Krankenwagen. Er hob sie hoch, während Tränen über seine Wangen liefen. Er dachte an die junge Frau auf dem Tisch – vor sieben Jahren – und wurde von Weinkrämpfen geschüttelt.
Neumann stand in der Tür und schaute betroffen auf seinen Vorgesetzten. So hatte er Benedikt van Cleef noch nie erlebt.
Kapitel 42
Dachau – Salzburg
Im Vorbeifahren sah er das Hinweisschild auf einen 500 Meter entfernten Rastplatz. Es war fast ein Uhr früh, doch der Pole verspürte kein Bedürfnis zu schlafen. Trotzdem beschloss er, auf den Parkplatz zu fahren und nachzudenken.
Gestern war er ihr gefolgt. Der Morgen war grau und kalt gewesen, und es hatte genieselt. Er hatte kurz nach sechs das Haus verlassen, wie es seine Gewohnheit geworden war, denn er genoss es, so früh unterwegs zu sein, weil der Tag noch keinen geordneten Rhythmus gefunden hatte.
Er war in seinem schwarzen Anorak durch den Nebel gejoggt. Die reflektierenden Abzeichen auf seinen Joggingschuhen leuchteten auf, wenn er an einer Straßenlaterne vorbeikam. Das Muster der Straßen war wie ein lebendiger Stadtplan in sein Gedächtnis eingegraben: die Alte Römerstraße entlang, durch die Unterführung, vorbei an der Gedenkstätte, wo früher das Konzentrationslager Dachau gewesen war, dann zurück über die Egerstraße, vorbei an der Videothek und dem Haarstudio und schließlich rechts durch die Rosswacht-Straße mit ihren streng weiß getünchten Häusern. Er stellte sich vor, dass seine Schritte der Strecke folgten, über die früher die Hufe der Pferde gedonnert waren. In den Vorgärten tauchten bereits die ersten leuchtenden Weihnachtsdekorationen auf. Sie schienen eine fröhliche Behaglichkeit zu versprechen, die ihm verschlossen bleiben musste. Die ihm entgegenkommenden Jogger grüßte er mit einem knappen Nicken. Sie dachten an ihre Pulsfrequenz, an ihr Zuhause, ihre Kinder und an die Belastung, die die Feiertage für ihre Bankkonten darstellten. Seine Gedanken hingegen drehten sich unentwegt um alte, dunkle Dinge, um Wunden, die nicht heilen wollten, um die Wildnis einer namenlosen, unsichtbaren Welt. Und sie würden auch nicht heilen, seine Wunden, solange er sich nicht entschloss, sie selbst zu reinigen. Es würde keine Gerechtigkeit geben, wenn er nicht selbst dafür sorgte. Plötzlich war ihr Haus geisterhaft über den nebelverhangenen Dächern aufgetaucht.
Er näherte sich seinem Ziel. Das Blut toste durch seine Adern, und sein Atem ging schwer. Er konnte nicht mehr umkehren. Sein ganzes Leben lang hatte er sich auf diesen Punkt zubewegt, auf diese eine Nacht, in der er zu sich selbst finden würde.
Er hatte die Rothaarige in ihrem Haus beobachtet, wie sie in der Küche auf und ab ging, über ihren enormen Bauch strich und sorgenvoll aus dem Fenster schaute. Er ahnte jede ihrer Bewegungen voraus und erspürte Bedürfnisse, die sie tief in ihrem Unterbewusstsein versteckt hatte. Er würde sie berühren und kosten in einer Weise, um die sie nie zu bitten gewagt hätte, sie wieder und wieder mit dem leichten Druck seiner Fingerspitze oder seiner Zunge an exakt der richtigen Stelle in exakt dem richtigen Moment kommen lassen. Und er würde in sie eindringen, genau in dem Moment, wenn sie ihn verzweifelt um das Leben ihrer Kinder bitten würde und ihn in sich haben wollte, so dass ihre Bewegungen und ihre Körper sich vollkommen vereinten.
Er könnte dann ihre Haut abstreifen, das Messer in ihren Bauch stoßen und ihn leeren und in sie schlüpfen und alles mit ihr tun.
Wie konnte er ihre Angst verstärken? Durch absolute Dunkelheit? Durch Nahrungsentzug? Durch Drogen? Ihren Tod in Gedanken zu planen und durchzuführen gab ihm ein befreiendes Gefühl.
Er könnte ihre Babys behalten, sofern sie überleben würden.
Wie stand er eigentlich dazu, Vater zu werden? Und wie würde er die Beziehung zu seinem Großvater weiterführen? Der Alte hatte seine Fragen bereitwillig beantwortet, wahrheitsgemäß, und ihn damit zum Teil einer wachsenden Familie gemacht.
Er schüttelte die Erinnerungen ab uns startete den Motor des Mercedes. Schuberts Winterreise erklang aus der Stereoanlage. Er verließ den Parkplatz,
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