EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
verschleiert, das Zimmer drehte sich vor ihren Augen. Plötzlich taumelte sie und fiel zu Boden.
***
Wenige Minuten später öffnete sie die Augen und sah ihn fragend an.
„Sie sind ohnmächtig geworden“, sagte er.
Ihr Gesicht war gerötet, doch ihre Augen waren jetzt hell und klar. „Wieso siezt du mich eigentlich, Jörg?“
Er reichte ihr ein Glas Wasser und erwähnte den Vorfall mit keinem Wort.
„Geht es wieder?“
Sie nickte. „Weshalb bin ich ohnmächtig geworden?“
„Du stehst noch immer unter Schock. Das ist nichts Besonderes.“
„Weißt du, Jörg, Jakob hat alle Menschen zum Narren gehalten. Er hat mich auch in Italien zum Narren gehalten. Deshalb habe ich geschossen. Aber ich habe nicht ihn getroffen, oder?“
„Du hast den Hund erschossen, und in deinem Fall würde ich sagen: Du hast genau das Richtige getan!“
Sie schaute ihn erstaunt an. „Wieso?“
„Nun, du hast Jakob gezeigt, dass du mit ihm fertig wirst.“
„Aber der arme Hund …“ Sie lachte. „Ja, du hast recht. Ich hab’s Jakob gezeigt. Wieso hat dieses Viech sich auch dort in der Nacht herumgetrieben?“
Du hast wirklich einen ziemlichen Knall abbekommen, Anna, meine süße Anna …
„Ich würde dir gerne einen Vorschlag unterbreiten. Was hältst du davon, wenn wir Hypnose einsetzen?“, fragte er.
Anna blickte ihn unsicher an. „Warum?“
„Weil du soeben geglaubt hast, du seist Katharina, und weil deine Erinnerung zurückkehrt. Du lebst, Anna. Deine Schwester ist tot.“
Ja, nur so kann es gehen, dachte er. Nur so würde er wirklich zu ihr vordringen können, und dann …
„Es gibt Momente in meinem Leben, die ich niemals vergessen werde, und dazu gehört die Erinnerung an meine Schwester. Wenn die Angst mich wieder quält, erinnere ich mich gerne an sie. Sie war das Licht.“
Jetzt war sie sichtbar erregt. Sie reagierte anders, als er erwartet hatte. Die Person Katharina schien sich in ihr zu manifestieren. Dann sagte sie, dass das Leben, ihr Leben, abgeschnitten sei.
„Wenn die Toten handeln, falls sie es denn überhaupt tun, ist es nur ein ‚Rest’, eine gespensterhafte automatische Reaktion.“ Er bat sie, ihm ihre Empfindung genauer zu erklären.
„Manchmal glaube ich, verrückt zu werden. Ich höre Stimmen und kann mich nicht konzentrieren. Möchtest du nicht auch, dass es mir wieder gutgeht, nachdem meine Erinnerung zurückkehrt?“
„Sicher, aber ich glaube nicht, dass eine Akteneinsicht etwas Positives hervorbringen wird. Eher das Gegenteil. Nicht umsonst schützt sich unsere Seele, indem sie eine unangenehme Erinnerung verdrängt. Ich sorge mich um dich, und ich halte die Hypnose für ein besseres Instrumentarium.“
Anna versuchte, ihre Gereiztheit zu überspielen, aber es gelang ihr nicht.
„Vielleicht. Vielleicht kehrt meine Erinnerung ja an einem anderen Ort zurück“, sagte sie leise.
„Du meinst in meiner Klinik?“
Sie nickte.
Endlich ist sie einsichtig geworden, dachte er.
„Alles, was ich tue, erscheint mir sinnlos. Ich lebe nicht, ich existiere nur. Ich brauche deine Hilfe, Jörg. Ich würde einer Hypnose und einem Klinikaufenthalt jetzt zustimmen. Du hast mir ja immer dazu geraten.“
Er streichelte ihr Haar, so wie er es früher bei Katharina getan hatte, und versuchte es wie eine freundschaftliche Geste wirken zu lassen.
„Schon gut, Anna. Ich werde alles Notwendige in die Wege leiten.“
„Ich werde durch dich wieder zu mir selbst finden.“
Er gab sich nachdenklich. Sie war ihm manchmal so nah wie Katharina, aber mit der Rückkehr ihrer Erinnerung würde sie die Vergangenheit bewältigen und seine psychologische Betreuung irgendwann nicht mehr brauchen.
Das darf nicht sein. Ich werde es zu verhindern wissen.
„Vielleicht hast du recht“, sagte sie leise.
Er wusste, dass ihre Beziehung zu Max stark belastet war. Ihr Mann konnte ihr nicht helfen, sosehr er sich auch bemühte, und deswegen hatte er Schuldgefühle.
Sie versuchte tapfer, ihre Tränen zu unterdrücken. „Ich bilde mir das alles doch nicht ein. Jemand beobachtet mich. Er hat es auf mich abgesehen. Ich traue mich nicht mehr aus dem Haus.“
„Warum erzählst du das nicht der Polizei?“
Sie sah ihn mit verkniffenen Augen an. „Der Polizei kann man nicht vertrauen. Ich traue nur Max.“
Das werde ich ändern!
„Max und dir natürlich.“
„Ja, natürlich.“
Sie hatte sich wieder im Griff. Schade.
„Ohne Max gäbe es keine Katharina. Ich habe Angst, Jörg. Ich träume jede
Weitere Kostenlose Bücher