EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
Stimme sie auf, ihren Namen zu nennen. Daraufhin öffnete sich die Tür.
Im Haus war es dunkler als draußen, und sie hatte das Gefühl, durch den Korridor zu schweben. Auf ihr Klopfen öffnete eine Frau mit braunem Haar und wässrig blauen Augen die Tür mit der Aufschrift Sekretariat einen Spaltbreit und sah sie fragend an.
„Ist das hier die Praxis von Professor Kreiler?“
„Äh… Sie suchen Professor Kreiler, Frau Gavaldo?“, fragte die Sekretärin irritiert.
Sie verharrte einen Moment. Wieso spricht diese Frau mich mit Gavaldo an, dachte sie. Sie zuckte mit den Achseln und sagte: „Ja, genau.“
„Erster Stock, vierte Tür links.“
„Danke.“
Sie schritt langsam den Korridor entlang. Vor dem Aufzug drehte sie sich um und blickte Kreilers Sekretärin, die noch immer in der Tür stand, direkt ins Gesicht. Aber es war nicht auszumachen, ob sie ihren Blick erwiderte oder nicht. Dann stieg sie rasch in den Aufzug.
Ihr Kopf schmerzte. Wieso hat die Sekretärin mich so seltsam angesehen? Sie hatte ihr doch nur eine simple Frage gestellt. Und dann dieser Name. Aber irgendwie sagte ihr der Name Gavaldo etwas. Vielleicht wüsste Jakob …
Im ersten Stock sah sie jemanden aus einem Büro kommen, einen Mann mittleren Alters, eleganter Anzug, sehr gepflegt. Er reichte Kreiler die Hand zum Abschied.
Ein Patient?, fragte sie sich. Sie blieb diskret im Hintergrund.
Der Mann ging an ihr vorbei, ein Blick voller Bewunderung streifte sie, ein freundliches Nicken.
Dann blickte sie den Psychiater an. „Dr. Kreiler?“
Jörg Kreiler runzelte die Stirn. „Anna …? Hatten wir einen Termin?“
„Ja, um elf Uhr.“
„Um elf?“
„Ja, entschuldigen Sie, ich habe mich verspätet.“
Kreiler spürte, dass etwas nicht stimmte. „Bitte, komm doch herein, Anna.“
„Sie verwechseln mich. Mein Name ist Katharina, Katharina Wendel.“
Als sie die Worte aussprach, schauderte sie. Die Kopfschmerzen waren jetzt unerträglich. Sie spürte Jakobs Aura in diesem Haus.
Kreiler hielt einen Moment inne, schwieg und musterte sie alarmiert. Dann reagierte er sehr schnell. „Meine Sekretärin ist schon gegangen, Frau …? Wie war noch Ihr Name?“
„Wendel. Katharina Wendel. Ihre Sekretärin hat mir die Tür geöffnet. Sie war noch in ihrem Büro. Sie kam mir irgendwie bekannt vor. Wo hatten Sie vorher Ihre Praxis? Außerhalb Münchens?“
Während die Sätze aus ihr heraussprudelten, sah sie sich im Raum um – Schreibtisch, Liege, Computer, Bücherregal – und saugte alles in sich auf.
„Nein, in der Stadt. Da Sie das erste Mal bei mir sind, brauche ich einige Informationen.“
„Welche Informationen?“
„Ihr Alter, Beruf und Familienstand. Wer hat Sie zu mir geschickt?“
„Niemand. Ich habe Ihre Anschrift aus dem Telefonbuch. Ich wollte jemanden aus der Stadt. Wir wohnen auf dem Land. Es ist schwer, einen Psychiater zu finden, der nicht Monate ausgebucht ist. Ein Kollege von Ihnen konnte mir erst einen Termin in zwei Monaten geben, aber da es dringend –“
„Dringend?“
„Ich komme wegen eines Problems, das –“ Sie zündete sich eine Zigarette an. „Meine kleine Schwester kann es nicht leiden, wenn ich rauche. Ich habe es mir schon zweimal abgewöhnt.“
Kreiler schaute auf die Zigarette und zog die Augenbrauen hoch. „Sie sprachen von einem persönlichen Problem?“
„Ja … Ben. Mein Stiefvater …. Er ist verschwunden. Ich glaube, meine Mutter hat ihn getötet.“
„Warum glauben Sie das?“
„Seit seinem Verschwinden geht es ihr gut. Sie ist seitdem so fröhlich.“
„Geht es denn Ihnen gut?“
„Sicher, warum fragen Sie?“
„Nur so. Sind Sie berufstätig?“
„Ja, ich arbeite als Krankenschwester in einer Münchner Klinik. Ich kenne niemanden außer meiner Familie. Niemanden, mit dem ich sprechen kann, dem ich mich anvertrauen kann.“
„Auch nicht mit Ihrer Schwester Anna?“
„Sie ist noch zu jung.“
„Haben Sie mit Ihrer Mutter mal darüber gesprochen?“
„Nein! Natürlich nicht. Ich könnte vielleicht mit Severin reden. Was meinen Sie dazu?“
„Severin?“
„Mein Schulfreund.“
„Sie haben nie darüber geredet … äh, mit Ihrem Schulfreund?“
„Doch ich habe es versucht, aber …“
„Ja?“
„Ich muss gehen. Ben wird böse, wenn ich zu spät nach Hause komme. Sie wissen schon.“
Er sagte: „Was weiß ich?“
„Ich muss gehen.“
„Kommen Sie wieder?“, fragte er vorsichtig.
Sie stand plötzlich auf. Ihr Blick war merkwürdig
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