EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
schritt über die Piazza Santa Trinita, die im Herzen des elegantesten Florentiner Viertels lag und an der die Via Tornabuoni begann. Hier erhoben sich die Säulen der Justiz, umgeben von aristokratischen Palästen. Nach Einbruch der Dunkelheit aß die Reisegruppe dort immer in einem kleinen Restaurant zu Abend.
Florenz war für ihn so etwas wie sein zweites Zuhause. Er war schon oft für Aufträge in dieser Stadt mit ihren in faulen Farben gehaltenen Fassaden gewesen und kannte ihre dunkelsten Ecken. Unauffällig schloss er sich der Reisegruppe an.
Die Luft war stickig und schwül wie im Hochsommer. Vom Fluss schlug ihnen ein modriger Geruch entgegen.
„Der vor Ihnen auf der Piazza della Signoria liegende Neptunbrunnen wurde von Bartolomeo Ammanati 1575 vollendet. Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert war bereits alles an herrlichen Palästen oder prächtigen Kirchen erbaut. Nur die öffentlichen Plätze boten noch ein Betätigungsfeld“, erklärte die Reiseführerin gerade.
„Stimmt es, dass Florenz seine prächtigen Bauwerke und seinen üppigen Kunstreichtum hauptsächlich den Medicis verdankt?“, hörte der Pole Selicz fragen.
„Ja, das stimmt“, sagte die Reiseleiterin, blieb einen Moment stehen, hob ihre Hand und zeigte in Richtung des Palazzo Vecchio. „Sehen Sie mal. Über die ganze Länge der Ponte Vecchio führt der berühmte Corridoio, der in nur fünf Monaten von Vasari erbaut wurde. Dieser Verbindungsgang sollte dem Großherzog der Toskana, Cosimo dem Ersten de Medici, die Möglichkeit bieten, vom Palazzo Vecchio aus zu seinen Wohnräumen im Palazzo Pitti zu gelangen, ohne sich in das Gedränge der Stadt begeben zu müssen. Außerdem war der Corridoio wie viele florentinische Bauwerke des Mittelalters und der Renaissance so angelegt, dass er in unruhigen Zeiten Schutz vor den Gefahren in den belebten Straßen bot.“
Selicz grinste. „Ich glaube, das ist nicht der wahre Grund.“
Der Pole blickte gelangweilt zur Seite. Selicz’ Gefasel über den heimlichen Zugang für die Mätressen des Großherzogs interessierte ihn nicht mehr.
Ein Mann mit einem Strauß dunkelroter Rosen im Arm eilte an ihm vorbei und schrie einer Frau nach, die in einem durchsichtigen Plastiksack Kleidungsstücke trug und vor dem Mann davonlief.
Wenige Meter vor der Brücke entdeckte der Pole einen Stand. Ein schmächtiger Gemüsehändler streifte dort einen Stahlhandschuh mit Schnittschutz über seine rechte Hand.
„Im Mittelalter standen hier übrigens die Läden und Werkstätten von Fischhändlern, Metzgern, Gerbern und Kürschnern. Hier wurden die Häute acht Monate lang eingeweicht und dann mit Pferdeharn gegerbt. Es muss bestialisch gestunken haben“, plapperte Selicz weiter.
Wieso konnte der alte Bastard nicht endlich sein Maul halten?, dachte der Pole.
Die Gruppe ging am Stand des Gemüsehändlers vorbei. Er blieb stehen und starrte fasziniert auf die riesigen Kokosnüsse. Der Händler hielt eine in der linken Hand, mit der anderen umfasste er einen Hammer und schlug mit der spitzen Seite auf die Oberseite, dort, wo sie aufbrechen sollte. Nach jedem Schlag drehte er sie ein wenig, und nach ein paar Umrundungen brach sie schließlich auseinander. Dann schälte er das Fleisch aus der harten Schale und legte es sorgfältig auf einen Teller.
„Bei der Reinigung der Brücke, die den Charakter einer Marktstraße hatte, wurden die Abfälle in den Fluss geworfen. Da versteht sich von selbst, warum die Brücke erst später zu einer Touristenattraktion wurde. Kommen Sie, lassen Sie uns weitergehen“, hörte er die Reiseleiterin sagen.
Er verharrte noch einen Moment am Gemüsestand und starrte den Händler an. Ihre Blicke trafen sich, und er erkannte das unausgesprochene Verständnis zwischen ihnen, das gespeist war von Seelenfreude und zügelloser Wut. Die heftigen Schläge mit dem Hammer hatten dem Polen den maliziösen Hass des Mannes gezeigt, der sich wohl gegen irgendjemanden richtete. Es war kein Zufall, dass er hier stand, es war ein Hinweis.
Die Gruppe schlenderte in Richtung Uffizien, eines der berühmtesten und zugleich ältesten Museen der Welt. Der Pole folgte ihnen. Ein letztes Mal drehte er sich zum Stand um. Mit offenem Mund, angestrengt die Lippen schürzend, schnitt der Gemüsehändler mit einem gekrümmten Messer eine Gurke auf. Ein hämisches Grinsen verzerrte jetzt sein Gesicht.
Der Pole wandte sich ab, betrat die Uffici und fand die Gruppe vor dem Hauptanziehungspunkt des Museums,
Weitere Kostenlose Bücher