EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
dass sie es war, aber er wusste auch, dass die Form gewahrt werden musste.
Er sprach in das Metallgitter. „Ja?“
Die Antwort folgte fast augenblicklich, hell und melodisch. „Ich bin’s, Anna. Hallo, Jörg. Anna hier.“
Er hörte ihrem Tonfall an, dass sie ihre Medikamente nicht genommen hatte.
„Du bist pünktlich auf die Minute“, entgegnete er. „Komm herein.“
Er wartete neben der Tür, hörte ihre Schritte auf den steinernen Treppenstufen, ein leises Klack–Klack–Klack, das lauter und lauter wurde, bis plötzlich nichts mehr zu hören war. Als er öffnete, machte Anna einen Schritt zurück, verblüfft über das abrupte Öffnen.
„Mein Gott, hast du mich erschreckt!“ Dann lächelte sie, entspannte sich und trat ein.
Er hielt einen Moment inne und musterte sie von oben bis unten, bemüht, nicht allzu aufdringlich zu erscheinen. Es fiel ihm schwer, sie nicht zu umarmen.
Anna legte die Stirn in Falten. „Jörg, ich muss mit dir reden.“
„Deswegen bist du ja hier. Setz dich doch. Wir sollten uns über deine Therapie unterhalten.“
„Mir ist etwas Merkwürdiges passiert. Es geschah, als ich heute Mittag auf dem Weg zur Schule war. Ich wollte Katharina abholen. Es war doch heute ein ganz gewöhnlicher Tag. Ich ging die Straße entlang, und alles war wie immer. Ich dachte an nichts Besonderes, nur an Entscheidungen und Termine und was ich als Erstes erledigen müsste, als ich plötzlich die Stimme eines Mannes hörte.“
„Was sagte er?“
„ Ich liebe dich, Anna. Es war seine Stimme, Jörg. Ganz sicher. Es war Jakobs Stimme.“ Tränen standen in ihren Augen.
Er beugte sich näher zu ihr. „Was hast du dann gemacht?“
„Ich blieb stehen. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich tatsächlich umdrehte oder nicht, aber ich sah – nein, ich sah es nicht, ich spürte es irgendwie … Es hat keinen Sinn, ich kann es nicht genau beschreiben, aber ich hatte dieses ungeheuer starke Gefühl – nein, mehr als das, ich wusste es. Er war neben mir. Jakob stand neben mir, sah mich an und lächelte. O Anna, sagte er, ich habe dich wirklich lieb. “
„Und was hast du dabei empfunden?“
„Zunächst gar nichts, aber dann sagte er: Es ist ein wundervolles Gefühl. Glücklich, stolz, erhaben … “
„Was hast du geantwortet?“
„Ich antwortete: Ich hab dich auch lieb. “ Sie brach in Tränen aus.
Er reichte ihr Papiertaschentücher und nahm ihre Hand. Er musste sich beherrschen, sie nicht in den Arm zu nehmen und sie zu küssen. „Hm … Und dann?“
„Dann klickte es in meinem Kopf, und alles war wieder beim Alten. Ich dachte, das kann nicht passiert sein. Ich glaube nicht an Gespenster, und Jakob lebt nicht mehr. Er ist seit sieben Jahren tot, erschossen von Benedikt van Cleef.“
Was geht verdammt noch mal wirklich in deinem hübschen Köpfchen vor, Anna?
„Manchmal sitze ich in einem Café an der Theke, doch ich achte nicht auf die Menschen und den Lärm um mich herum. Ich trinke meinen Kaffee aus, diesen lauwarmen und bitteren letzten Schluck in der Tasse, dann greife ich nach einer Zeitschrift, die auf dem Tresen vor mir liegt, und erlebe Ähnliches. Ich blicke in den Spiegel hinter dem Tresen und sehe ihn.“
„Versuch mir deine Gefühle zu erklären. Was, glaubst du, könnte es bedeuten, wenn du mir sagst: Es war ein wundervolles Gefühl. Glücklich, stolz, erhaben? “
„Ich glaube, meine Erinnerung kehrt zurück. Ich habe Angst davor und weiß nicht genau, was sie bei mir auslösen könnte. Vielleicht stürze ich ab.“
„Es gibt Menschen in deinem Leben, die dich auffangen werden.“ Er tupfte die Tränen von ihrem Gesicht.
Anna beruhigte sich ein wenig. „Du auch?“, fragte sie schelmisch.
„Ganz besonders ich. Aber so weit sind wir noch nicht.“
„Ich möchte dich etwas fragen. Wäre es hilfreich, mir die Aufnahmen von damals zu zeigen? Wenn du Benedikt van Cleef um die Tatortfotos bitten würdest, wird er sie dir zukommen lassen.“
„Und du möchtest sie mit mir gemeinsam ansehen?“
„Ja“, flüsterte sie.
„Was hält Max von dieser Idee?“
„Er weiß nichts davon, und das ist auch gut so.“
„Warum?“
Jörg hatte das Gefühl, sie könne jeden Moment erneut in Tränen ausbrechen.
„Jakob benutzte den Namen meiner Schwester, den ich unserer Tochter gegeben habe. Katharina, die Glückliche, die Stolze, die Erhabene.“
„Du glaubst immer noch, Katharina ist Jakobs Tochter?“
„Ja.“
Erneut nahm er ihre Hand. „Anna, der Gentest war
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