EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
Stellen verätzt worden zu sein.“ Veronika zeigte ihm die Fingerkuppen, dann öffnete sie den Mund des Toten. „Oder hier die Zähne. Sie sind ebenfalls durch die Säure komplett korrodiert. Da ist so gut wie nichts mehr übrig.“
Van Cleef seufzte. „Der Mörder wollte es uns schwermachen.“
„Ich weiß nicht so recht. Sieh dir diese alte Fraktur des Unterschenkels mal an. Wie bei dem Mann, der seit einigen Tagen vermisst wird. Hätte man uns an einer Identifizierung hindern wollen, wäre so etwas Wichtiges nicht übersehen worden.“
Er nickte zustimmend. „Warum dann die Säure?“
„Vielleicht ging der Mörder davon aus, dass die persönliche Identität nach dem Tod sowieso ihren Sinn verliert. So etwas ist bei Ritualmorden nicht ungewöhnlich.“ Veronika streifte ihre Latexhandschuhe ab und warf sie in den Mülleimer. „Ich würde sagen, es handelt sich um Andrej Heptna. Die Spurensicherung hat doch auch dieses Amulett in der Nähe der Leiche gefunden. War da nicht sein Name eingraviert? Und die DNA wird es auch bestätigen. Jetzt muss nur noch die Familie die Leiche identifizieren.“
„Er hat keine Familie mehr.“
„Oh. Gott sei Dank. Dann kannst du ihnen das ersparen. Was ist das für ein Täter, der jemandem die Augen ausbrennt, ihn danach aufschlitzt, den Kopf abhackt und den Körper verätzt?“
„Keine Ahnung. Es wird schwierig sein, ein Täterprofil zu erstellen“, sagte er nachdenklich. „Das ist einfach nur krank.“
„Warum wendest du dich nicht an Robert Hirschau? Vielleicht kann der dir helfen.“
„Das werde ich.“
Der Fotograf legte einen Film in die Kamera, und van Cleef beobachtete, wie der Mann die Schnittverletzungen sorgfältig dokumentierte.
„Sonst noch was, Veronika?“, fragte er.
„Er hat noch gelebt, als man ihm das angetan hat. Das Säurebad hat man ihm später beschert. Da war er schon tot.“
Van Cleef schaute sie entsetzt an. „Er hat noch gelebt?“
„Ja. Und jetzt kennst du auch die Todesursache.“
„Äh …?“
„Gestorben ist er an einem anaphylaktischen Schock. Ein anaphylaktischer Schock führt zu einem lebensbedrohenden Versagen des Herz-Kreislauf-Systems.“
„Er ist nicht am Halsschnitt verblutet?“
„Richtig. Der Schnitt ist nicht tief genug. Man hat die blutenden Wunden dieses Mannes mit Säure überschüttet. Das führte zu einem Herzstillstand aufgrund des Schocks.“
„Grausame Vorstellung“, murmelte van Cleef.
„Ja. Hier ging es dem Mörder darum, sein Opfer ganz und gar zu vernichten. Aber ich habe noch etwas Erfreuliches für dich.“ Sie wandte sich wieder den Studenten zu. „Ein weiteres unverwechselbares Merkmal jeder Person ist in den Zellen des Körpers enthalten: das Erbmolekül, die DNA. Seit den achtziger Jahren vollzog sich eine dramatische Entwicklung im Bereich der forensischen Wissenschaft: Der sogenannte genetische Fingerabdruck revolutionierte die Identifikationsmöglichkeiten. Winzige Spuren von Blut, Speichel oder Sperma reichen jetzt aus, um den genetischen Code eines Täters zu erhalten. Ein spezielles Verfahren isoliert die DNA aus den Zellen. Mit Hilfe bestimmter genetischer Werkzeuge lässt sich das Erbmolekül zerlegen und in Tausende unterschiedlich lange Abschnitte teilen. Diese Fragmente sortieren sich in einem elektrischen Feld nach ihrer Größe. Das sich daraus ergebende Muster ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Diese Methode hat den Forschern ein effektives Werkzeug an die Hand gegeben, einen Verdächtigen zu überführen oder auch seine Unschuld zu beweisen. Mit moderner Technik ist man dem Täter eng auf den Fersen und gewinnt immer häufiger den Wettlauf mit dem Verbrechen. Nun, wir haben hier einmal die DNA des Opfers und …“
Van Cleef hielt die Luft an. „Nein!“
„Doch. Ich bin mir sicher. Wir haben an der Leiche ein Haar gefunden, das eine andere DNA aufweist.“
„Phantastisch. Wann fängst du mit der Obduktion von Michail Heptna an?“
„Nach einer Kaffee- und Zigarettenpause. Reicht dir das?“ Sie ermahnte die Studenten: „Vergessen Sie bitte niemals: Es erfordert intelligente Denkarbeit, der Todesursache auf die Spur zu kommen. In diesem Punkt unterstützen und ergänzen wir Pathologen die kriminalistische Untersuchung der Polizei. Und aus dem Grund habe auch ich Medizin studiert.“
Van Cleef lächelte gequält und verließ den Obduktionsraum. Er musste von hier verschwinden.
***
Starnberg
Max hatte nachts nicht schlafen können. Anna hatte mit
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