EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
bestätigte sie.
„Und du hattest Schwierigkeiten, Luft zu bekommen.“
„Ich konnte kaum atmen.“ Sie sah ihn durchdringend an. „He, woher kennst du meinen Traum?“
Kreiler wusste, dass sie in dem Traum ihre eigenen Ängste auf ihn projizierte. Seine wirkliche Sorge war, dass sie ihn wegstoßen würde, dass sie ihn ganz nah an seine innersten Gefühle heranlocken und ihn dann in den Abgrund schubsen und seinem Schicksal überlassen würde. Und tief in seinem Herzen befürchtete er, es würde ihn umbringen, wenn sie das täte.
Er wäre außerstande, sich nach einem weiteren Verrat über Wasser zu halten. Deshalb suggerierte er, dass beim Aufwachen sie es war, die das Gefühl hatte zu ertrinken.
„Ich weiß eine Menge über Träume“, sagte er unbestimmt und machte eine Pause. „Willst du das Wichtigste über deinen wissen?“
„Ja. Was?“
Er zwinkerte ihr zu. „Ich werde deine Hand ganz fest halten, wenn wir je an einem See spazieren gehen.“
Sie verdrehte die Augen. „Und ich würde dich nie hineinstoßen“, versicherte sie.
„Ich würde dich auch nicht hineinstoßen. Bei mir bist du sicher“, versprach er.
„Ich verlasse morgen früh die Klinik und gehe nach Hause, Jörg. Max kommt zurück, und ich brauche ihn.“
„Ich weiß, Anna, ich weiß. Gute Nacht.“
Du elendiges Miststück.
„Gute Nacht, Jörg.“
Bobby, bitte!
Was ist denn, du Arsch, du Versager? Du musst einen anderen Weg finden, ihr Herz zu gewinnen, kreischte Bobby wütend.
Welchen, Bobby, welchen?
Als Arzt hast du viele Möglichkeiten, an ihr Herz zu gelangen. Der Schnitt mit dem Skalpell wird seitlich zwischen der zweiten und dritten Rippe angesetzt und verläuft quer über das Brustbein bis auf die andere Seite. Der Knochen wird in Schrägrichtung gespalten, durch einen kurzen, heftigen Schlag mit einem Meißel. Das Ergebnis ist ein klaffendes Loch. Die Lungen kollabieren augenblicklich, sobald sie der Außenluft ausgesetzt sind. Anna verliert rasch das Bewusstsein. Und während ihr Herz noch schlägt, greifst du in den Brustkorb und durchtrennst die Arterien und Venen. Du fasst den pulsierenden Muskel, hebst ihn aus seinem blutigen Bett und hältst ihn in den Himmel.
Du hast sie nicht alle, Bobby, dachte Kreiler.
Oder wäre es vielleicht sinnvoller, sich von unten zu nähern? Mit einem raschen Schnitt kann man die Bauchhöhle öffnen und das Zwerchfell durchschneiden und die Hand hindurchstecken, um nach dem Herzen zu greifen. Gewiss, das wäre eine sehr unsaubere Methode; die Gedärme würden dabei hervorquellen.
Er seufzte. Halt’s Maul, Bobby.
Als er eine halbe Stunde später nach Hause fuhr, hatte er eine Entscheidung getroffen. Seine Existenz war eine endlose Fehlgeburt, die ihn unter Schichten von Kälte begrub – einer einsamen Kälte, ohne den Abschluss des Todes und den Trost eines Grabsteins, ohne eine Schulter, an der er sich ausweinen konnte.
Er hasste Tränen. Sie erinnerten ihn an seine Mutter, die sich immer ihre Tränen verbiss. Als Kind hatte er nach dem plötzlichen Tod seines Vaters ihre Tränen angestarrt, als gehörten sie zu einer Fremden. Seine Beziehung zu ihr hatte etwas Irreales; selbst wenn sie ihm übers Haar streichelte, hätte sie ebenso gut in einem anderen Zimmer sein können. Er spürte sie nicht.
In jeder der beiden vergangenen Nächte hatte er den gleichen Traum gehabt. Er lag auf einem Bett aus Frühlingsblumen in einem grünen Tal, die Sonne wärmte sein Gesicht, und eine sanfte Brise streichelte ihn.
Er empfand tiefen inneren Frieden und fühlte sich mit allen lebenden Dingen verbunden, er war endlich geheilt und gesund. Ja, er hatte seine Entscheidung getroffen.
***
München – Polizeipräsidium
Gut eine Stunde später betrat van Cleef sichtlich erregt sein Büro. Kreiler hatte ihn erreicht, als er gerade nach Hause gehen wollte, und ihm gesagt, dass er ihn umgehend unter vier Augen sprechen müsse.
Van Cleef zog einen Sessel dichter an seinen Schreibtisch und bat Kreiler mit einer Geste, Platz zu nehmen. Er selbst setzte sich in seinen Schreibtischsessel.
„Worüber wollten Sie mit mir reden?“, fragte van Cleef.
„Über die Wahrheit.“
Ihre Blicke trafen sich, und Kreiler hielt van Cleefs stand.
„Die Wahrheit worüber?“
„Über Frau Gavaldo.“
„Sagen Sie mir, was Sie meinen.“
„Ich weiß, was passiert ist, Kommissar van Cleef. Und ich weiß, warum“, begann Kreiler. „Und doch …“
Van Cleef wandte den Blick ab.
„Sie haben mir
Weitere Kostenlose Bücher