Eiskalter Sommer
Bad. Und dann würde er mit Susanne sprechen. In dieser Nacht waren sie ein Paar geworden. Susanne war eine wunderbare Frau. Ein wenig zu offenherzig und vielleicht zu unbekümmert im Umgang mit Männern. Aber das würde sich ändern, wenn sie erst verlobt wären.
Auf der Suche nach dem Badezimmer hörte er plötzlich Stimmen aus dem Erdgeschoss, dazwischen Susannes helles Lachen und das Klappern von Geschirr. Vorsichtig tastete er sich die Treppe hinab. Offenbar waren Hendrik und Sven schon aufgestanden und waren bei Susanne in der Küche. Die Tür stand einen Spalt offen.
„Mein Vater ist im Stall“, hörte er sie sagen. „Zum Füttern. Schweine, Kühe, Hühner. Braucht alles seine Zeit.“
„Meinst du, er hat was mitgekriegt?“ Die Stimme von Sven.
„Keine Sorge. Mein alter Herr arbeitet vierzehn Stunden am Tag. Und wenn er schläft, dann schläft er. Da weckt ihn so schnell nichts auf.“
„Solange er im Stall ist“, meldete sich Hendrik, „könnten wir noch mal ... du weißt schon: I can boogie, boogie-woogie ...“
Jan hörte, wie Susanne lachte. „Gestern Abend, das war okay. Es hat mir Spaß gemacht. Mit jedem von euch. Sogar mit ... Jan. Aber das war’s dann auch. Ihr fahrt heute nach Hause, und ich fahre nächste Woche wieder nach München. Ich habe nicht die Absicht, euch wiederzusehen. Und Beziehungsstress will ich schon gar nicht. Höchstens noch ...“
Jan erstarrte. Sekundenlang verharrte er unschlüssig auf der Treppe. Dann eilte er die Stufen hinauf und öffnete eine Tür nach der anderen, bis er das Bad gefunden hatte, um dort sein heißes Gesicht mit kaltem Wasser zu kühlen. Er wusste nicht, wie lange er auf dem mit orangefarbenem Plüsch bezogenen Hocker gesessen hatte. Wirre Gedanken hatten ihn geplagt. War Susanne ein Flittchen? Offenbar hatte sie auch mit Sven und mit Hendrik ... Die Vorstellung war unerträglich.
Ein dicker Kloß saß in seiner Kehle, als er zum zweiten Mal die Treppe hinabstieg. Susanne und seinen Kameraden gegenüberzutreten erschien ihm nahezu unmöglich. Vorsichtig näherte er sich der Tür, die jemand in der Zwischenzeit geschlossen hatte.
Er verharrte und lauschte. Nichts. Zögernd drückte er die Klinke nieder und zog die Tür auf. Hendrik und Sven saßen auf einer Eckbank an einem Tisch mit weiß-blauem Frühstücksgeschirr. Sie war nicht in der Küche. Erleichtert trat Jan ein.
„Wo ist Susanne?“ Er versuchte, seine Stimme so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.
Seine Kameraden hoben die Schultern. „Komm, setz dich!“, forderte Hendrik ihn auf. „Frühstück. Wir müssen bald los. Clasen bringt uns ins Dorf. Vorher müssen wir noch den Hof freischaufeln. Damit er mit dem Trecker überhaupt rauskommt.“
Jan wagte nicht, seine Frage zu wiederholen. Auch Hendrik und Sven blieben einsilbig. Die ausgelassene Stimmung, die er zuvor wahrgenommen hatte, schien verflogen.
Als der Hausherr eintrat, musterte er die jungen Männer aufmerksam, blieb jedoch ebenfalls stumm. Er goss sich einen Kaffee ein und nahm eines der aufgebackenen Brötchen aus dem Korb. Schweigend saßen die vier Männer am Tisch. Clasen ließ sich das Frühstück schmecken, Hendrik und Sven langten ebenfalls zu. Jan rührte nichts an. Als der dumpfe Glockenschlag der Standuhr aus der Wohnstube die Stille durchbrach, erhob sich der Landwirt. „Sie sind dabei, die Landstraße zum Dorf zu räumen. Bis wir so weit sind, dürfte sie wieder frei sein. Wenn ihr hier fertig seid, könnt ihr schon mal anfangen. Ich habe noch in den Ställen zu tun.“
„Wo ist Susanne?“, wiederholte Jan seine Frage, nachdem Clasen den Raum verlassen hatte. Erneut hoben seine Kameraden wortlos die Schultern. Ohne ihn dabei anzusehen.
*
Konrad Röverkamp hatte schlecht geschlafen. Obwohl er sich nach dem Wein mit Marie Janssen noch einen Aquavit und später zu Hause einen weiteren und dazu eine Flasche Bier gegönnt hatte, war es ihm nicht gelungen abzuschalten. Voller Unruhe hatte er sich im Bett von einer Seite auf die andere gewälzt. Im Halbschlaf hatte er auf Amelies schlurfende Schritte gelauscht und war aufgeschreckt, wenn ihm bewusst wurde, dass er sie nie mehr hören würde. Dann hatte er versucht, sich vorzustellen, wie Sabine reagieren würde, wenn er ihr vorschlug, mit ihm zusammenzuziehen. Und war zu keinem Ergebnis gekommen.
Schließlich war er doch noch einmal eingeschlafen. Und hatte die Frage in seine Träume mitgenommen. Im Traum hatte er Sabine die Wohnung gezeigt.
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