Eiskalter Wahnsinn
winkte ihm nach, als er wieder um die Ecke verschwand. Dann ging sie hinein.
Ihr erster Gedanke war, dass Joan Begley als Künstlerin ziemlich gut verdienen musste. Sie bewohnte eine Suite, und nach dem ersten Blick schätzte Maggie, dass sie seit mindestens zwei Tagen nicht hier gewesen war. Auf dem Kaffeetisch stapelten sich drei Gratisexemplare von USA Today. Auf dem Schreibtisch lag eine Guthabenkarte für eine Woche kontinentales Frühstück. Bis auf Sonntag waren alle Tage gelocht. Außerdem lag dort eine Express-Hotelrechnung für Sonntag, den 14. September, mit einer revidierten Kopie für Montag und einer weiteren für Dienstag.
Im Schrank neben der Tür hingen verschiedene Kostüme und Blusen, im Schlafzimmer war eine Jacke über eine Stuhllehne gehängt worden. Maggie klopfte die Taschen ab und entdeckte ein ledernes Scheckbuch. Sie schlug es auf und sah erfreut, dass Joan Begley ihre Transaktionen aufschrieb. Seit ihrer Ankunft in Connecticut hatte es nur wenige gegeben. Die erste war an Marley und Marley gegangen, tausend Dollar als Anzahlung, die zweite war an Stop N Shop gegangen mit dem Vermerk „Snacks“. Eine weitere an DB Mart, „Benzin“.
Der letzte Eintrag war am Samstag, dem 13. September, vorgenommen worden. Zunächst dachte Maggie sich nichts dabei. Der letzte Scheck war an Fellinis Pizzeria gegangen mit dem Hinweis „Dinner mit Marley“.
Sie überflog die früheren Eintragungen. Dinner mit einem der Bestatter? Hatten sie sich zum Dinner getroffen, um über die Beisetzung zu sprechen? Durchaus möglich. Hätte etwas anderes dahinter gesteckt, ein Rendezvous zum Beispiel, hätte sicher Mr. Marley die Rechnung übernommen.
Maggie überprüfte das Datum: Samstag, 13. September. Wenn Gwen Recht hatte, war Joan Begley vermutlich später an diesem Abend verschwunden. Offensichtlich war sie vom Essen noch in ihre Suite zurückgekehrt, sonst wäre das Scheckbuch nicht hier. Vielleicht hatte sie sich umgezogen. War Marley der Mann, mit dem sie sich verabredet hatte, als sie Gwen anrief?
Als sie das Scheckbuch zurücklegen wollte, dachte sie an die Obduktion. Die Tote aus dem Fass war ermordet worden, kurz nachdem sie eine Pizza gegessen hatte. Vielleicht kurz nachdem sie sich mit jemandem, eventuell dem Killer, zum Essen verabredet hatte.
Maggie schob sich das Scheckbuch in die Hosentasche und schaute sich weiter in der Suite um. Auf dem Beistelltisch lag offen ein Pullman, darunter lagen zwei Schuhe auf der Seite, offenbar nach dem Abschütteln dort gelandet. Im Bad waren mehrere Kosmetik- und Toilettenartikel verteilt, und an der Badezimmertür hing ein Nachthemd.
Müde rieb sich Maggie über die brennenden Augen. Zweifellos war Joan Begley nicht einfach ins Kino oder zum Essen gegangen. Und selbst wenn sie mit einer neuen Liebe abgehauen wäre, hätte sie wohl kaum ihre Sachen dagelassen. Es sah eindeutig danach aus, dass Joan Begley hierher zurückkehren wollte, was sie jedoch ebenso eindeutig seit Tagen nicht getan hatte.
Noch einmal sah sie sich auf der Suche nach Anhaltspunkten in beiden Räumen um und kontrollierte auch den Notizblock neben dem Telefon. Bingo! Auf dem oberen Blatt waren Eindrücke zu erkennen. Es war ein alter Trick, aber immer wieder wirkungsvoll. Mit einem Bleistift aus der Schublade schraffierte sie mit seitlich gehaltener Mine das Blatt. Wie durch Zauber wurden aus den Eindrücken allmählich dünne Linien, die sich zu Buchstaben und Zahlen formten. Schließlich hatte sie eine Adresse und eine Uhrzeit: Hubbard Park, Percival Park Road, West Peak, 23.30 Uhr.
Maggie riss den Zettel ab und steckte ihn ein. Sie blieb für einen letzten Blick zurück an der Tür stehen, ehe sie das Licht ausschaltete und leise sagte: „Wo zum Teufel steckst du, Joan Begley?“
30. KAPITEL
„Erzähl mir von deiner Krankheit“, sagte er auf ihrer Bettkante sitzend.
Joan hatte schon geschlafen. Es musste mitten in der Nacht sein. Beim Angehen des Lichtes war sie erschrocken aufgewacht. Und da war er gewesen. Sie hatte blinzeln müssen, um ihn zu erkennen, wie er am Fußende des Bettes saß und sie neugierig beobachtete.
Sie roch eine Kombination aus feuchter Erde und frischem Schweiß an ihm, als sei er soeben vom Graben aus dem Wald gekommen. Oh Gott! Hatte er etwa ihr Grab ausgehoben?
„Was hast du gesagt?“ Sie wollte sich den Schlaf aus den Augen reiben, erinnerte sich jedoch, dass es wegen der Lederfesseln nicht ging. Gefesselt zu sein erschreckte sie erneut. Die
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