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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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informierte mich die Frau.
    Meine Mutter trug ihre weiße Arbeitskleidung, sie musste direkt von Dr. Rühmers Zahnarztpraxis hierher geeilt sein. Mein Vater stand neben ihr, sein Gesicht zusammengefallen und erschöpft. Sie sprachen mit einem Mann, als er sich herumdrehte, erkannte ich, dass es der Mann von der Kripo war. Mein Herz sauste senkrecht in den Keller.
    »Was ist denn?«, fragte ich, das heißt, ich wollte es fragen, aber meine Stimme gehorchte mir nicht ganz. Die Sekretärin schob uns in ihr Zimmer und verschwand diskret.
    »Bist du rauschgiftsüchtig?«, platzte meine Mutter heraus, kaum, dass die Tür zu war.
    »Tanja, jetzt warte doch mal«, unterbrach sie mein Vater.
    »Natürlich nicht«, antwortete ich. Was für eine blöde Frage.
    »Du hast aber an dem Abend im Wald was genommen. Keratol. Es konnte noch in deinem Blut nachgewiesen werden.«
    »Was?« Ich starrte den Kripo-Mann an.
    »Warum machst du das? Dir fehlt es doch an nichts!« Meine Mutter trommelte mit ihren Fingern auf dem Tisch herum. »Du hast uns doch versprochen, dass du so was nie anrühren wirst! Du weißt, was mit Onkel Hannes ist. Du hast es uns versprochen!« Ihre Stimme kippte über.
    »Frau Koschatz, bitte.« Der Mann räusperte sich. »Was mich jetzt interessiert, ist eine ehrliche Antwort– hast du die Drogen von jemandem gekauft? Geschenkt bekommen?«
    »Nein«, stammelte ich.
    »Dann hast du also nichts davon gewusst? Bist du ganz sicher?«
    »Nein. Ich meine, ja.« Ich zog an den Ärmeln meines Sweatshirts. »Ich hab so viel getrunken, von irgendwelchen Leuten was genommen, ich meine bekommen …« Ich stotterte. »Was ist das überhaupt?«
    Mein Vater schoss meiner Mutter einen »Ich hab's dir doch gesagt«-Blick zu.
    »Eine brandneue Designerdroge. Wirkt wie eine Mischung aus Ketamin und Liquid Ecstasy. Halluzinationen – je nach Stimmung euphorisch oder gespenstisch, dann Blackout. Manche Leute zerkratzen sich beim Trip das Gesicht. Daher auch als Scratch bekannt«, sagte der Mann von der Kripo. »Bislang sind wir in unserer Gegend davon verschont geblieben, aber die Tatsache, dass du die Droge genommen hast, bedeutet, dass sie hier im Umlauf ist. Uns interessiert natürlich, woher sie kommt, wie du dir sicher vorstellen kannst. Das Zeug ist kreuzgefährlich.«
    »Scratch«, wiederholte ich mechanisch. Wovon redete der eigentlich?
    »Das würde auch erklären, warum du dich an nichts erinnerst.« Er beugte sich vor. »Ihr den Ohrring rausgerissen zu haben, zum Beispiel. Das ist ja nicht unbedingt normales Verhalten, selbst unter Teenagern, die sich nicht leiden können. Oder hast du ihn irgendwo gefunden und eingesteckt?«
    Ich zuckte hilflos mit den Schultern.
    »Es könnte natürlich sein, dass dir jemand die Drogen absichtlich gegeben hat. Allerdings bist du nicht vergewaltigt worden und das ist ja meist der Sinn der Sache. Dann hattest du Glück im Unglück, sozusagen.« Er kratzte sich am Kinn. »Wenn dir also noch irgendwas einfällt, wer dir das gegeben haben könnte, wer dort so was verkauft oder ausgeteilt hat, dann lass es uns umgehend wissen. Mehr können wir da leider im Moment nicht machen«, erklärte er meinen Eltern. Er stand auf. Deswegen war er hier?
    »Was ist mit Vanessa?«, platzte ich heraus. Was war jetzt mit dem Ohrring, meinte ich wirklich.
    Er hob resigniert die Schultern. »So was passiert leider, wenn Jugendliche mit Drogen und Alkohol herumexperimentieren. Wenn die Party in einem Garten stattgefunden hätte, dann würde Vanessa Klinger unter Umständen noch leben. Aber da oben bei den steilen Felsen …« Er schüttelte den Kopf. »Das Walpurgisfeuer wird mit Sicherheit im nächsten Jahr dort untersagt werden.«
    Was genau meinte er damit? Hatte Vanessa ebenfalls Drogen verabreicht bekommen? Ich verstand gar nichts mehr, nur, dass ich nicht unter Verdacht stand, schuld an ihrem Tod zu sein, sonst hätte der Mann mich doch mitgenommen, abgeführt, was auch immer. So verabschiedete er sich nur von mir und meinen Eltern, als wir alle wieder vor der Tür des Sekretariats standen. Ich sah ihm ungläubig nach. Es klingelte zur Pause. Schüler strömten in dieKorridore und mit ihnen kehrten die Blicke zurück, das Tuscheln und Flüstern. Ich fragte mich, ob einer von ihnen wusste, was Scratch war. Ob einer wusste, was das Zeug für eine Wirkung hatte. Denn dann gab es nur zwei Möglichkeiten: derjenige hatte es selbst nehmen wollen und ich war ihm zuvorgekommen, indem ich was getrunken hatte, das

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