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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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klafften Risse, die Beifahrertür schloss nicht mehr richtig. Und es roch hier drin, als hätte man früher Tiere damit transportiert.
    Plötzlich wurde mir klar, warum Durian meine Waffe in die linke Manteltasche gesteckt hatte: So konnte ich sie ihm nicht entreißen. Er musste monatelang über jedes Detail seines Plans nachgedacht haben.
    Â»Sie hat Ihnen nichts getan!«, hörte ich mich rufen. »Sie hat nichts zu tun mit dieser Sache zwischen Ihnen und mir!«
    Durian antwortete nicht. Er ignorierte mich einfach. Walldorfer Kreuz, Blinker nach rechts.
    Â»Sie haben, was Sie wollen«, nahm ich einen neuen Anlauf, jetzt wieder ruhiger. »Töten Sie mich, in Gottes Namen, aber verschonen Sie sie!«
    Nun waren wir auf der A6. Ludwigshafen, Mainz, Bingen,Koblenz – wo wollte er hin? Verhaftet wurde er damals im Pfälzer Wald, unweit von Bad Bergzabern. Sollte unsere Fahrt etwa dorthin gehen? Das würde passen. Durian hatte eine Ader fürs Theatralische, fürs Melodramatische. Und es würde bedeuten, dass ich noch mindestens eine Stunde zu leben hatte. Sechzig kostbare Minuten, in denen unendlich viel geschehen konnte.
    Durian schwieg immer noch. Der Regen wurde allmählich schwächer.
    Â»Woher wussten Sie, dass ich meine Dienstwaffe mitbringen würde?«
    Â»Weil Sie ein Lügner sind«, erwiderte er knapp.
    Wenn es mir nur gelingen würde, ihn in ein Gespräch zu verwickeln!
    Nach quälend langen Minuten tauchte am Horizont die Rheinbrücke bei Speyer auf, über der Stadt ein blutroter Schein, als würde sie brennen. Die Silhouette des festlich angestrahlten uralten Doms mit seinen vier Türmen, der schon so unendlich viele kleine Menschenschicksale gesehen und wieder vergessen hatte. Festliche Taufen und stille Beerdigungen, Kaiser und Grafen und Bürgerliche. Glaube, Hoffnung, Verzweiflung und wieder neue Hoffnung. Wie schön musste es sein, glauben zu können. Der Trost, dass es nach dem Tod weiterging, besser vielleicht als zuvor.
    Â»Glauben Sie an Gott?«, fragte Durian, als könne er Gedanken lesen.
    Â»Kennen Sie die Kalendergeschichten von Brecht?«, fragte ich zurück.
    Dieses Mal war sein Blick zu mir herüber deutlich länger.
    Â»Natürlich kenne ich sie. Weshalb fragen Sie?«
    Â»Eine davon hat mich so beeindruckt, dass ich sie bis heute nicht vergessen habe: Jemand fragt Herrn K., ob es einen Gott gibt. Herr K. antwortet sinngemäß ungefähr so: Überlegen Sie, ob sich Ihr Verhalten ändern würde, wenn es einen Gott gäbe. Lautet die Antwort ja, dann brauchen Sie einen Gott. Lautet sie nein, was soll dann die Frage?«
    Wieder schwieg Durian lange. Aber etwas hatte sich verändert zwischen uns. Es war kein abweisendes Schweigen mehr, sondern ein nachdenkliches. Längst lag Speyer weit hinter uns.Jetzt waren wir auf der A68 in Richtung Süden. Vermutlich wollte er wirklich nach Bad Bergzabern. Dann blieb mir immer noch eine Dreiviertelstunde, um mein Leben zu reden.
    Wie spät mochte es sein? Die Uhr am Armaturenbrett funktionierte nicht. Auf die an meinem Handgelenk wollte ich nicht sehen, um Durian nicht unnötig zu irritieren. In ihm nicht den Verdacht zu erwecken, ich warte auf etwas. Andererseits musste ihm natürlich klar sein, dass mein Verschwinden in Heidelberg nicht lange unbemerkt bleiben würde. Dass man dort in Kürze beginnen würde, nach mir zu suchen. Und nach Theresa natürlich auch. Was meine Untergebenen wohl dachten, über unser beider Verschwinden zur selben Zeit? Ob sie einen Zusammenhang herstellten, die richtigen Schlüsse zogen? Erst würden sie noch rätseln, aber bald würden die ersten Vermutungen laut werden. Erst noch zaghaft, halb im Spaß, dann plötzlich ernst. Wie es Liebekind wohl ging? Er wartete vielleicht immer noch auf die Punktierung seiner Lunge oder kannte längst ihr Ergebnis. Und seine Frau kam nicht, um sich mit ihm zu freuen oder ihn zu trösten.
    Viel zu lange schon hatte ich mit Durian kein Wort mehr gewechselt, wurde mir plötzlich bewusst. Das war schlecht, sehr schlecht.
    Â»Wann werden Sie sie freilassen?«, fragte ich.
    Und erhielt keine Antwort.
    Durian starrte auf die dunkle Straße und brütete über irgendwelchen finsteren Gedanken. Bei Edenkoben verließ er die Autobahn. Umfuhr den Ort in weitem Bogen, mied das Licht und die Menschen. Weiter ging es in Richtung Süden, dann

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