Eiskaltes Schweigen
heimtückischen Grippevirus erwischt zu haben. Seit Weihnachten hatte ich ihn nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, anlässlich meiner Inauguration zum Kriminaloberrat am zweiten Januar. Eine halbe Stunde hatte er mir zu Ehren der kleinen Feier beigewohnt, dabei viel gehustet und hoffentlich nicht allzu viele angesteckt. Dann hatte er sich von Theresa, seiner Frau und meiner Geliebten, wieder nach Hause fahren lassen.
Beim Gedanken an Theresa lächelte ich unwillkürlich. Ich unterbrach die elende Rechnerei, um ihr eine längere Gute-Morgen-SMS zu schreiben. Sie antwortete fast sofort. Wie ich freute sie sich auf morgen. Dienstagabend war unser Jour fixe. Und irgendwie schaffte sie es zu kommen, auch wenn ihr Gatte nicht, wie an Dienstagen üblich, die Rotarier mit seiner Anwesenheit beehrte. Mit welcher Ausrede sie sich morgen davonstehlen würde, wusste ich nicht.
Sönnchen, meine tapfere Sekretärin, unterstützte mich nach Kräften und mit ihrer langjährigen Erfahrung als engste Vertraute diverser Kripochefs vor mir. Ihr richtiger Name war Sonja Walldorf, aber das wusste kaum jemand, da sie von allen und jedem nur Sönnchen genannt wurde.
Auch wir, die Polizei, verfolgten natürlich unsere Interessen bei dem Datenerfassungs-Wahnsinn. Deshalb rundete ich hier etwas auf, dort eher ab, schwindelte hier ein wenig, mogelte dort ein bisschen, reklamierte ohne Hoffnung Baumängel unserer immer noch neuen und schon wieder maroden Polizeidirektion, die schon mein Vorgänger erfolglos reklamiert hatte.
Ich verabscheute diese Art von Tätigkeit aus tiefstem Herzen. Aber sie gehörte nun einmal zum Job eines Kripochefs. Wie so oft beneidete ich meine Untergebenen, die jetzt drauÃen waren, mit Menschen zu tun hatten, Spuren suchten, Fakten sammelten, Vermutungen anstellten und wieder verwarfen. Und abends nach Hause gingen mit dem Gefühl, etwas getan und nicht nur Papier beschrieben zu haben.
Nach zwei Stunden legte ich Sönnchen die ersten Ergebnisse meiner lustlosen Bemühungen zum Nachrechnen auf den Schreibtisch. Dann schob ich noch ein Weilchen Papierstapel hin und her, schrieb Theresa eine zweite SMS, und eine halbe Stunde später war ich unterwegs nach Heddesheim. Der kleine Ort lag etwa fünfzehn Kilometer nordwestlich von Heidelberg.
4
Die Sonne war durchgebrochen, aber immer noch herrschte eine sibirische Kälte bei fast völliger Windstille. Der Schnee war so weiÃ, dass es in den Augen schmerzte, und im Wagen wurde es lange nicht warm. Als ich Heidelberg hinter mir gelassen hatte und endlich ein wenig schneller fahren konnte, wirbelte hinter mir eine gleiÃende Schleppe von Schneekristallen über die StraÃe.
Heute sah ich das sich in den tiefblauen Himmel türmende Hochhaus bei Tageslicht. Vermutlich, um das Ganze etwas aufzulockern, wechselte die Farbe der Balkons alle zwei, drei Etagen. Ich zählte zwanzig Stockwerke. Das Haus passte an den Ortsrand von Heddesheim ungefähr so gut wie ein Flugzeugträger in einen Yachthafen.
Der Hausmeister wohnte im Erdgeschoss gleich links hinter dem Eingang. Er war ein massiger Mann Ende dreiÃig, den manmit seiner mächtigen Vollglatze, dem schon etwas angegrauten Rübezahlbart und der nietenübersäten schwarzen Biker-Hose für den Anführer einer drittklassigen Hells-Angels-Gruppe hätte halten können. Auf seinem grauen und zu engen T-Shirt prangte dann auch das rote Emblem von Moto Guzzi und der Schriftzug: Where Eagles fly.
»Hört das denn nie auf?«, maulte er, als er meinen Dienstausweis erblickte.
»Es hört dann auf, wenn wir den Täter haben.«
Aus der engen und mit Sperrmüllmöbeln vollgestellten Wohnung roch es nach gekochtem Kohl und alten Socken.
»Muss ich mit rauf, oder ist es okay, wenn ich Ihnen den Schlüssel gebe?«
»Schlüssel reicht.«
Seufzend griff er nach dem Bund, der neben der Tür an einem Haken hing. »Ich hab nämlich gerade was auf dem Herd. Und auÃerdem hat der Kleine Fieber. Ich möchte ihn ungern allein lassen.«
Wie zur Bestätigung hörte ich klägliches Wimmern. Der Hausmeister â den handgekrakelten Namen an der Klingel hatte ich inzwischen als Stachowiak entziffert â löste einen Schlüssel vom Ring und überreichte ihn mir, als wäre er froh, das lästige Ding endlich los zu sein.
»Wie lang werden Sie ihn brauchen?«
»Bis ich fertig
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