Eiskaltes Schweigen
bin.«
Er grinste schief. »Was suchen Sie eigentlich da oben? Ihre Leute haben doch jeden Millimeter schon dreimal mit der Lupe abgesucht.«
»Das weià ich nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäÃ.
Aus Anita Bovarys Wohnung schlug mir ein süÃlicher, Ãbelkeit erregender Hitzeschwall entgegen. Irgendjemand hatte die Heizung bis zum Anschlag hochgedreht. Mit vorsichtigen Schritten durchquerte ich den winzigen Flur mit dem inzwischen eingetrockneten Blut am Boden, betrat den sonnendurchfluteten Wohn- und Schlafraum mit Kochnische, drehte den Thermostat auf null und riss die Balkontür auf. Die Wohnung war deutlich kleiner als die gegenüberliegende von Frau Hasenkamp. Ichhängte meinen Wollmantel an einen Haken im Flur, steckte die Hände in die Taschen und begann, mich umzusehen. Ich betrachtete die Dinge, die die Tote umgeben hatten, versuchte mir vorzustellen, was hier geschehen war vor kaum mehr als dreiÃig Stunden.
Die Einrichtung war gelinde gesagt ungewöhnlich und definitiv nicht gemacht, um bei Tageslicht besichtigt zu werden. Ein zerwühltes Polsterbett beherrschte den Raum. An der Wand über dem Kopfteil hing ein riesiger, goldgerahmter und stark nach vorne geneigter Spiegel. Er war so weit geneigt, dass Personen, die sich auf dem Bett tummelten, ungehinderte Aussicht auf sich selbst genossen. An den übrigen Wänden hingen zum Schreien schlechte Reproduktionen semipornografischer Ãlschinken, den Boden bedeckte ein plüschiger, bordeauxfarbener Teppichboden, der hie und da schon Wellen warf. Auch die Wände waren rot gestrichen, die Vorhänge im selben Ton gehalten.
Ãber einer Stuhllehne hing ein schwarzes Kleid mit Spaghettiträgern, das sie vermutlich am Samstagabend getragen hatte. Ein ebenfalls schwarzes, knappes Spitzenhöschen, der dazu gehörige BH und schwarze Nylonstrümpfe lagen neben dem Bett verstreut.
In einer Nische zwischen Bett und Wand entdeckte ich einen Stapel Bücher. Auf dem gläsernen Nachttischchen auf der anderen Seite drei weitere. In einer Ecke neben dem Fenster eine rührend kleine Bar, die allerdings komplett leer war. Daneben hing ein zweiter, noch gröÃerer Spiegel, der vermutlich für die Kundschaft gedacht war, die sich nach dem kostenpflichtigen Vergnügen ankleidete und nicht mit falsch geknöpftem Hemd vor die Tür treten wollte.
Im Bad Schminkzeug, überraschend wenig, eine nach Meer duftende, blassblaue Seife, ein noch unangebrochenes Shampoo für trockenes Haar, eine halbvolle Flasche einer teuren französischen Bodylotion. Ich öffnete sie und schnupperte daran. Der Duft war angenehm, und ich meinte, ihn gestern Morgen schon gerochen zu haben.
Das Bad entstammte der Zeit, als man moosgrünes Sanitärporzellan schick gefunden hatte. Ein wenig wunderte ich mich, wie wenig diese Frau gebraucht hatte, um sich schön und wohlriechendzu machen. Meine Töchter brachten es mit ihren fünfzehn Jahren problemlos auf die zehnfache Menge an Fläschchen und Tübchen, Döschen und Zerstäubern, Lippenstiften, Lotions und Cremes.
Ãber der Ablage hing ein in die Jahre gekommenes Badezimmerschränkchen mit teilweise schon blinden Spiegeltüren. Darin befand sich nichts auÃer einer halb leeren Zehnerpackung Kondome, gefühlsecht, Erdbeergeschmack. Die enge Dusche enthielt nichts auÃer rostbraunen Kalkrändern sowie einer weiÃen Flasche Duschgel von Chanel.
Anita Bovary hatte offensichtlich nicht geplant, hier länger zu bleiben als unbedingt nötig.
Als Nächstes besah ich mir den eigentlichen Tatort. Ich machte mit dem Ellbogen Licht im Flur und steckte die Hände wieder in die Taschen. An der Wohnungstür befanden sich drei Schlösser. Nur das unter der Klinke war von auÃen zu verschlieÃen. Die beiden Sperrriegel darüber und darunter waren sichtlich neu und nur von innen zu betätigen. Vermutlich ein erst kürzlich angebrachter zusätzlicher Schutz gegen unerwünschten Besuch.
Vor wem hast du dich gefürchtet, Anita Bovary?
Betrat man die Wohnung von auÃen, dann befand sich die schmale, steingrau gestrichene Tür zum Bad linker Hand. Die Wand gegenüber war auf der ganzen Länge des Flurs mit einem deckenhohen Einbauschrank verkleidet, der, wie ich feststellte, weitgehend leer war. Ein noch fast neuer, edel wirkender Trenchcoat hing darin, ein schwarzer Wintermantel mit Pelzkragen, eine dunkelblaue
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