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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Zurzeit waren fast alle seine Kinder krank. Das kannte ich aus eigener Erfahrung: Die Kinder brachten Bazillen aus dem Kindergarten mit nach Hause und Viren aus der Schule, steckten sich reihum gegenseitig an, und kaum waren die Ersten wieder halbwegs gesund, begann der Reigen von vorn. Ich sprach ihm mein Mitgefühl aus, aber er lachte nur.
    Â»Da müssen die durch«, meinte er. »Ist gut für die Abwehrkräfte.«
    Elvira von Freithal erwartete uns schon ungeduldig in ihrer Wohnungstür. Sie entpuppte sich als eine energiegeladene und vom neuseeländischen Sommer braun gebrannte Dame Anfang siebzig mit silberfarbenem Haar.
    Â»Ich habe nicht den leisesten Schimmer, wie dieses Tier in meine Wohnung kommt!«, erklärte sie empört, als wir ihre Zweizimmerwohnung betraten, die genau spiegelbildlich zu der von Frau Hasemkamp zu sein schien.
    Â»Kräch!«, sagte Flaubert.
    Der beängstigend große hellgraue Papagei mit roten Schwanzfedern hockte in einem etwa anderthalb Meter hohen robusten Käfig, der wiederum auf Frau von Freithals Esstisch in der Nähe des Fensters stand. Der Vogel musterte uns rauflustig.
    Â»Sie hatten Kontakt mit Ihrer Nachbarin, Frau Bovary?«
    Â»Kontakt wäre vielleicht ein wenig zu hoch gegriffen.« Die alte Dame ließ Flaubert nicht aus den Augen. »Sie hat meine Pflanzen versorgt, wenn ich auf Reisen war. Und im Gegenzughat sie sich offensichtlich die Freiheit genommen, dieses Tier hier unterzustellen.«
    Â»Kräää-äch!«, schrie Flaubert entrüstet und rieb seinen gefährlich starken Schnabel an der Sitzstange aus Naturholz, die er aus Langeweile schon fast komplett durchgenagt hatte.
    Â»Na, du bist mir ja einer«, sagte Runkel entzückt und trat näher an den Käfig.
    Â»Vorsicht!«, rief Frau von Freithal. »Ich fürchte, er beißt!«
    Flaubert nickte, als würde er jedes Wort verstehen.
    Â»Was wissen Sie über Frau Bovary?«
    Â»Wenig. Wir haben uns kennengelernt an dem Tag, als sie hier einzog. Ich habe ihr eine Tasche vom Lift in die Wohnung getragen. Bei dieser Gelegenheit hat sie sich vorgestellt und gesagt, sie würde für einige Zeit hier wohnen.«
    Â»Hatte sie den Papagei beim Einzug schon dabei?«
    Â»Natürlich.«
    Â»Hat sie gesagt, woher sie kam?«
    Â»Nein. Sie sagte nur, aus dem Ausland, aber mir kam das gleich merkwürdig vor. Hätte sie gesagt, aus den Staaten oder aus Frankreich … aber aus dem Ausland … Nein, Frau Bovary wollte etwas hinter sich lassen, das habe ich sofort gespürt. Und sie wollte nicht darüber sprechen. Ich habe sie dann nicht weiter mit Fragen belästigt.«
    Â»Hat sie hin und wieder Besuch gehabt?«
    Â»Einmal habe ich eine Frau bei ihr gesehen. Eine alte Freundin, hat sie mir später erzählt. Sie haben zwei, drei Stunden Kaffee getrunken. Dann ist sie wieder gefahren.«
    Â»Gefahren?«, fragte Runkel. »Mit dem Auto?«
    Â»Einen Volvo hatte sie, ja. Ich habe es zufällig gesehen, weil ich gerade auf dem Balkon Wäsche abgenommen habe. Einer von diesen großen Kombis. Silbergrau. Die Nummer konnte ich natürlich von hier oben nicht lesen, und sie hat mich auch nicht weiter interessiert.«
    Â»Krieh, krieh, kräääh!« Flaubert schlug mit den Flügeln, als könnte er seine Abreise kaum noch erwarten.
    Â»Wann ungefähr war das?«, fragte ich.
    Â»Das kann ich Ihnen ausnahmsweise ganz genau sagen. An dem Abend bin ich nämlich nach Catania geflogen. Ich wollteimmer schon mal den Ätna besteigen.« Die alte Dame, die einen weiten hellgrauen Pullover zu abgewetzten Bluejeans trug, ging mit elastischen Schritten zu einem Kalender an der Wand, der Landschaftsaufnahmen aus aller Welt zeigte. »Zum Glück habe ich das alte Ding noch nicht weggeworfen«, murmelte sie, während sie blätterte. »Hier: am zwanzigsten November. Bei dieser Gelegenheit hat sie sich auch zum ersten Mal um meine Pflanzen gekümmert.«
    Â»Sonst wissen Sie nichts über sie?«
    Â»Anita, wir haben uns geduzt, war ein offener Mensch. Nicht vorlaut, nicht geschwätzig, aber offen. Nur über gewisse Dinge mochte sie nicht sprechen. Dass sie Pech mit Männern hatte, habe ich aus einer Bemerkung geschlossen, die sie einmal gemacht hat. Dass dieses Thema für sie erledigt ist und sie nun ihre Freiheit genießen will. Sie hat sich sehr für meine Reisen

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