Eiskaltes Schweigen
»Ichweià nicht. Ehrlich, ich weià es nicht. Bitte, glauben Sie mir. Ich weià nur eines: Ich hab sie nicht umgebracht. Ich könnt so was doch gar nicht!«
Der Anwalt notierte sich noch etwas.
»Wir vertagen das Gespräch auf morgen«, verkündete ich förmlich und erhob mich. »Bis zum Abschluss der kriminaltechnischen Untersuchungen bleiben Sie in Haft.«
Der Anwalt klappte kommentarlos sein Notizbuch zu.
»Vorerst letzte Frage«, sagte ich, als Reuschlin, begleitet von zwei uniformierten Kollegen, schon an der Tür war. »Haben Sie in der Wohnung einen Papagei gesehen?«
Er wechselte mit seinem Rechtsbeistand einen unsicheren Blick. Dann sah er mich an.
»Ist das âne Fangfrage oder so was?«, fragte Reuschlin.
»Nein, das ist eine ganz einfache Frage: War da ein Papagei?«
»Sie meinen, so einer im Käfig?«
»Wo sonst?«
»Nein. Das hätt ich gesehen, wenn da einer gewesen wär. So groà war die Wohnung ja nicht.«
»Und noch eine allerletzte Frage: Was haben Sie eigentlich mit der Handtasche gemacht?«
»Weggeschmissen.«
»Wo?«
»Weià nicht. Irgendwo auf dem Weg nach Ladenburg.«
»Ein bisschen genauer vielleicht? Das sind fünf Kilometer.«
»Ich weià es doch nicht mehr, Herrgott! Ziemlich bald, denk ich. Mir ist saukalt gewesen. Ich hab echt gedacht, ich frier mich tot. Ãber eine Stunde bin ich gelaufen, als wär der Teufel hinter mir her. Ich hab das Geld rausgenommen und die Tasche irgendwohin geschmissen. War mir doch scheiÃegal, wohin.«
»In einen Mülleimer vielleicht?«, fragte ich geduldig weiter. »Oder eher irgendwo ins Gebüsch?«
In hilfloser Verzweiflung hob Gregor Reuschlin die knochigen Hände in Schulterhöhe.
»Ich. WeiÃ. Es. Doch. Nicht.«
6
»Was halten Sie von seiner Geschichte?«, fragte Balke, als wir uns später zusammensetzten, um die neuesten Ergebnisse seiner Soko durchzugehen.
»Schwer zu sagen. Zumindest teilweise sagt er die Wahrheit. Aber es ist noch nicht die ganze Geschichte.«
Balke nickte. Eine erste Durchsuchung von Reuschlins ärmlicher, aber überraschend aufgeräumter Wohnung hatte nichts zutage gefördert, was uns in irgendeiner Weise weiterbrachte. Der Blick in seine Vergangenheit schon eher.
»Er war schon mehrfach gewalttätig gegen Frauen.« Mein Mitarbeiter rieb sich das Gesicht. »Ein paar Jahre war er sogar verheiratet, aber die Frau hat ihn wegen wiederholter Gewalttätigkeit verlassen. Eine andere, eine Zufallsbekanntschaft Jahre später, hat er verprügelt und bespuckt, weil sie nicht so wollte wie er. Hat ihm ein halbes Jahr auf Bewährung eingebracht.«
»Das passt ja ganz gut ins Bild.«
»Bis auf die Tatsache, dass er damals kein Messer benutzt hat.« Balke sah gedankenverloren hinaus in den grauen Himmel. »Wenn nur dieser widerliche Schnee endlich wegtauen würde«, seufzte er nach einer Weile. »Ich habe heute Morgen die ganze Strecke absuchen lassen, die Reuschlin nach der Tat gegangen sein muss. Mit Metalldetektoren und allem. Aber da liegen stellenweise vierzig Zentimeter Schnee, an vielen Ecken haben die Schneepflüge regelrechte Berge zusammengeschoben.«
»Früher oder später wird es tauen. Und Reuschlin läuft uns ja nicht weg.«
Mein Telefon summte.
»Da ist eine Frau, die Sie unbedingt sprechen will«, sagte Sönnchen. »Ich weiÃ, Sie wollen nicht gestört werden. Aber es geht um den Mord in Heddesheim, und da hab ich gedacht â¦Â«
Ich erkannte die Stimme schon bei den ersten Worten: Ute Hasenkamp, die pensionierte Lehrerin.
»Frau von Freithal ist aus Neuseeland zurück«, sagte sie mitihrer jugendlich hellen und jetzt zudem ein wenig aufgekratzten Stimme. »Und stellen Sie sich vor, was sie in ihrer Wohnung entdeckt hat!«
Seit zwei Stunden schneite es nicht mehr, die meisten StraÃen waren inzwischen geräumt. Der Verkehr war mäÃig, da viele Kurpfälzer ihre Autos vorsichtshalber in der Garage lieÃen. So kamen wir gut voran auf dem Weg nach Heddesheim. Balke hatte irgendeinen Termin, deshalb hatte ich Rolf Runkel als Fahrer und Begleiter mitgenommen.
Unterwegs unterhielten wir uns über seine inzwischen sechs Kinder, die er im Jahrestakt in die Welt setzte, seit er â im Alter von fast fünfzig Jahren â eine Philippinin geheiratet hatte.
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