Eiskaltes Schweigen
kurz vor neun, wir hatten noch viel Zeit.
Als später ihre zweite Zigarette brannte, griff sie das Thema wieder auf.
»Soll ich dir Madame Bovary am Freitag mitbringen? Vielleicht hilft es dir ja bei der Aufklärung deines Falls.«
»Das glaube ich weniger.« Ich musste lachen. »Aber warum nicht? Eine Bildungslücke weniger.«
»Du wirst dich langweilen, ich muss dich warnen. Meiner Meinung nach hat der Roman damals nur deshalb so sensationell eingeschlagen, weil die gute Emma Bovary und ihre Lover es an allen möglichen und unmöglichen Stellen miteinander getrieben haben. Das war damals neu und natürlich ein Riesenskandal. Manche Buchhändler, die es nicht gelesen haben, halten das Buch selbst heute noch für erotische Literatur. Das stimmt aber nicht, es gibt nicht ein Fitzelchen nackte Haut zu sehen. Einmal, das war der Höhepunkt, haben sie eine Droschkezum Handlungsort ihrer Leidenschaft erkoren, und prompt konnte man bald darauf in Hamburg gut gepolsterte Droschken mit blickdichten Vorhängen mieten.«
»Was könnte eine Frau bewegen, den Namen Bovary anzunehmen?«
»An einen einzigen Satz kann ich mich merkwürdigerweise erinnern. Er lautet ungefähr: âºEmma suchte zu erfahren, was man im Leben unter Worten wie Seligkeit, Leidenschaft und Rausch verstand, die ihr in Büchern so schön vorgekommen waren.â¹ Vielleicht war es das Lieblingsbuch eures Opfers? Vielleicht hatte sie es erst kürzlich gelesen? Wie die arme Emma auf der Suche nach der einen, groÃen Liebe?«
»Wie kommt die literarische Madame Bovary eigentlich ums Leben? Wird sie auch erstochen?«
»Sie vergiftet sich und stirbt einen sehr, sehr schmerzhaften Tod.«
Uns zu Ehren spielte der Saxofonist, der praktischerweise über uns wohnte, ein Stück, das nach Jan Garbarek klang. Ich hatte den begabten Mann noch nie gesehen, aber er war mir allein aufgrund seines Instruments sympathisch. Eine Weile lauschten wir still der zärtlichen, unendlich verträumten Musik.
»Wie gehtâs eigentlich deinem Buch?«, fragte ich, als der Musiker sich ein Päuschen gönnte.
»Ach.« Theresa winkte müde ab. »Zurzeit komme ich nicht voran. Wenn Egon im Haus ist, kann ich nicht schreiben.«
Wie ich vor nicht allzu langer Zeit erfahren hatte, arbeitete sie heimlich an einem Roman, in dem es im Wesentlichen um das Lotterleben des Kurpfälzer Hofes im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert ging. Auf diese Weise konnte sie ihre Kenntnisse als studierte Historikerin und ihr Hobby â Sex â zusammenbringen. Erst kürzlich hatte ich deshalb ungefragt von ihr erfahren, dass Kurfürst Karl Ludwig, der Vater der berühmten Liselotte von der Pfalz, von Heidelberg nach Schwetzingen eine schnurgerade StraÃe hatte bauen lassen. Zweck dieser InfrastrukturmaÃnahme war einzig und allein, dass er so schneller bei seiner im dortigen Schloss auf ihn wartenden Geliebten sein konnte, mit der er über die Jahre nicht weniger als dreizehn Kinder zeugte.
»Wolltest Du nicht vor zwei Wochen mit der ersten Version fertig sein?«, fragte ich.
»Ach«, seufzte sie wieder. »Vielleicht, wenn Egon wieder gesund ist â¦Â«
»Dein Mann ist ja wohl alt genug, dass du ihn wegen einer läppischen Grippe nicht rund um die Uhr bemuttern musst.«
Sie seufzte zum dritten Mal. Plötzlich fühlte ich, dass etwas nicht stimmte. Dass seit Minuten etwas nicht mehr stimmte. Ich zog sie an mich. Sie sperrte sich nicht, fühlte sich aber nicht an wie sonst. Ich strich ihr über das lockige Haar.
»Ist irgendwas?«, fragte ich. »Und antworte bloà nicht mit âºachâ¹!«
»Ach«, seufzte sie traurig.
»Post coitum omne animal triste«, rezitierte ich mit Pathos.
»Das ist der dämlichste Spruch, den ich je gehört habe«, erwiderte sie mit wehmütigem Lächeln. »Ich wusste gar nicht, dass du Latein kannst.«
»Der Spruch ist von Aristoteles. Er kann also unmöglich dumm sein.«
Sie kam mit ihrem Gesicht ganz nah und stupste ihre Nase gegen meine.
»Erstens: Auch alte Griechen können ganz schön dumm sein. Zweitens wird das Zitat Aristoteles nur fälschlicherweise zugeschrieben, und drittens hast du den zweiten Teil der klassischen Weisheit unterschlagen.«
»Der wäre?«
»Sive gallus et mulier.«
»Aha.«
Theresa lachte. »Jetzt ist der Herr
Weitere Kostenlose Bücher