Eiskaltes Schweigen
interessiert.«
Frau von Freithal räusperte sich und sah mir ins Gesicht.
»Und was wird nun mit â¦Â Flaubert?«
»Obär!« Der Papagei sah sie mit einem Auge aufmerksam an. »Doofes Federvieh!«
Runkel war begeistert. »Du kommst in mein Büro, gell?« Unter Flauberts misstrauischen Blicken klopfte er gegen das Gitter. »Und wenn du dich anständig aufführst und dich sonst keiner haben will, dann darfst du vielleicht später bei mir daheim wohnen. Die Kinder werden sich freuen.«
»Die Decke, die danebenliegt, gehört übrigens dazu«, erklärte Elvira von Freithal. »Die lag über dem Käfig, als ich kam. AuÃerdem waren die Rollläden unten. Es war stockdunkel hier. Ein Glück, dass die Pflanzen nicht schon eingegangen sind. Und bitte, achten Sie auf Ihre Finger!«
»Obär!«, kreischte Flaubert. »Olle Nebelkrähe!«
Der graue Vogel sprach mit Frauenstimme und unverkennbarem Berliner Akzent.
»Madame Bovary?«, fragte Theresa. »Habe ich gelesen, natürlich.«
Sie war nackt, lag auf dem Bauch, einen gläsernen Aschenbecher vor sich, und genoss es, sich von mir Rücken, Nacken undalles andere streicheln zu lassen, was ohne Anstrengung zu erreichen war.
»Worum geht es in dem Buch?«
»Die kurze oder die lange Version?«
»Die kurze. SchlieÃlich habe ich heute Abend noch einiges vor.«
»So?« Belustigt sah sie mich an. »Was denn?«
Ich küsste sie auf den vollen Mund. Sie lächelte und streifte die Asche ihrer Zigarette ab.
»Dann also Madame Bovary im Telegrammstil: Junge, schöne Frau heiratet alten, langweiligen Landarzt. Mit dem Sex läuft es nicht so, sie lässt sich mit einem Hallodri ein und stirbt fast daran. Daraufhin lässt sie sich mit einem zweiten Hallodri ein und stirbt wirklich.«
»Klingt irgendwie nach Komischer Oper.«
»Ist nicht jede Oper komisch?«
»Finde ich nicht. Aber ich bin auch lange in keiner mehr gewesen.«
»Ich muss immer lachen, wenn zwei beleibte Mittvierziger so tun, als wären sie ein rankes, junges Liebespaar und kurz vor dem Tod noch rasch eine Arie schmettern.«
»Vielleicht sollte ich wirklich mal wieder in die Oper gehen«, überlegte ich. »Hättest du Lust mitzukommen?«
»Definitiv: eher nicht.«
»Unsere Madame Bovary von Heddesheim hat sich anscheinend auch mit dem falschen Mann eingelassen.« Meine Rechte wanderte langsam abwärts. Theresa seufzte wohlig. »Und wie es scheint, hat sie es genauso mit dem Leben bezahlt wie ihr literarisches Vorbild.«
»Kommt davon, wenn man die falschen Bücher liest.« Theresa räkelte sich unter meinen Berührungen. »Literatur ist eben doch gefährlich.«
Meine Geliebte war das, was man früher ein Prachtweib genannt hätte. GroÃ, stolz, mit üppigem honigblondem Haar und den passenden Rundungen an den richtigen Stellen. »Und diesen Mann habt ihr seit gestern in Gewahrsam?«
»Ich weià aber noch nicht, ob es der Richtige ist. Seine Geschichte ist so dämlich, dass sie eigentlich nur wahr sein kann.Und es passt auch alles nicht recht zusammen. Die Frau hatte sich in ihrer Wohnung regelrecht verbarrikadiert. Sie hat beim Einzug einen falschen Namen angegeben. Ich glaube eher, sie war vor jemandem auf der Flucht und hat sich versteckt. Dummerweise hatte sie in der Mordnacht ihre Riegel nicht vorgeschoben. Vermutlich hat sie sich sicher gefühlt, weil jemand bei ihr war.«
Meine Hand hatte das untere Ende von Theresas Rücken erreicht. Alles Weitere, ungefähr bis zu den Kniekehlen, war bei ihr eine einzige erogene Zone. Prompt begann sie, heftiger zu atmen, nach Sekunden drückte sie der erst halb gerauchten Zigarette das Lebenslicht aus, schob den Aschenbecher auÃer Reichweite und wandte sich mir zu.
Wir lagen auf einer Matratze am Boden unserer Zweizimmerwohnung in Neuenheim, einem Stadtteil Heidelbergs am nördlichen Neckarufer. Die Wohnung hatten wir ausschlieÃlich zu dem Zweck angemietet, einen Ort zu haben, wo wir uns treffen und lieben konnten. Der Mietvertrag lief auf meinen Namen, die aus gewissen Gründen für Heidelberger Verhältnisse sensationell niedrige Miete teilten wir uns.
Es war Dienstagabend, unsere Zeit. Leider habe sie nur Ausgang bis elf, hatte meine Göttin gleich zu Beginn erklärt und unverzüglich begonnen, sich zu entkleiden. Jetzt war es
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