Eiskaltes Schweigen
»Papageienvögel müssen einen Ring tragen, hab ich mal gelesen. Wegen dieser Krankheit.«
Ich verstand immer noch nicht, worauf sie hinauswollte. »Was für einen Ring denn?«
»Na, am Bein. Sogar Wellensittiche. Damit man weiÃ, von welchem Züchter er kommt. Und wenn Sie einen Papagei kaufen, dann wird die Nummer aufgeschrieben und wie Sie heiÃen und Ihre Adresse.«
Eine halbe Minute später waren wir unten. Flaubert trug tatsächlich einen silbern blinkenden Ring am rechten FuÃgelenk. Leider war er jedoch nicht gewillt, uns die eingeprägte Nummer ablesen zu lassen. Eine Weile turnten wir zu dritt um den Käfig herum, und der dabei immer aufgeregter werdende Papagei drehte sich immer wieder so, dass wir irgendeinen Teil nichtsehen konnten. Das Spektakel bereitete ihm mächtiges Vergnügen, und er schien es für ein neues Spiel zu halten.
In diesem Zusammenhang stellte sich auch heraus, weshalb er in der Mordnacht vorübergehend den Wohnort hatte wechseln müssen. Vermutlich war das immer so gewesen, wenn seine Besitzerin Herrenbesuch erwartete. In seiner Begeisterung über unsere Aufmerksamkeit begann Flaubert schlieÃlich, vielleicht angeregt durch Sönnchens Lachen, zu flattern und unverkennbar weibliche Lustschreie auszustoÃen.
»Ja, jaaa!«, schrie er. »Ah, ahh, jaaaaah!«
Runkel sah mich verdattert an, Sönnchen lachte aus voller Kehle und wurde zu meiner Verwunderung kein bisschen rot. Nachdem alle sich wieder beruhigt hatten, kamen wir überein, dass Runkel einen Menschen auftreiben sollte, der mit gefährlichen Vögeln umzugehen wusste.
Gegen Mittag kam drauÃen Wind auf, und der Himmel verdunkelte sich wieder. Die Temperatur stieg innerhalb weniger Stunden um fast zehn Grad, und begleitet von Blitz und Donner begann es, wolkenbruchartig zu schneien. Kurze Zeit später regnete es bereits, und auf den StraÃen der Kurpfalz brachen bürgerkriegsähnliche Zustände aus. Deshalb erschien der vogelkundige Mann, den Runkel nach einigem Hin und Her aufgetrieben hatte, erst am späten Donnerstagnachmittag.
Natürlich wollte ich mir das Ereignis nicht entgehen lassen. Der Mann, der sich mit förmlicher Verbeugung und mächtigem Händedruck als »Schneider, Christof Schneider« vorstellte, betrieb ein kleines Zoogeschäft in Neuenheim und hatte einen robusten Stulpenhandschuh aus Rindsleder mitgebracht. Den zog er über die rechte Hand, öffnete ohne Zögern den Käfig, packte den entsetzt aufschreienden Vogel und diktierte Sönnchen mit ruhiger Stimme eine lange Nummer.
Sekunden später saà Flaubert schon wieder auf seiner Stange, schüttelte mit stummem Vorwurf sein graues Gefieder zurecht und brachte die roten Schwanzfedern in Ordnung.
»Sie sollten ihn mal ausmisten«, meinte Herr Schneider, als er mir zum zweiten Mal die Hand quetschte.
»Hab mich noch nicht getraut«, gestand Runkel kleinlaut.»Er beiÃt, wenn man in den Käfig langt. Ich weià gar nicht, wie das gehen soll.«
»Ganz einfach.«
Der Zoohändler erklärte meinem Untergebenen, wie er das Oberteil des Käfigs samt Bewohner vom Sockel abnehmen, diesen dann reinigen (»am besten immer eine alte Zeitung unten rein«) und am Ende alles wieder zusammenfügen konnte, ohne Gefahr zu laufen, zu nah an Flauberts Schnabel zu kommen.
Aber erst einmal hatte Rolf Runkel Wichtigeres zu tun. Auf meine Weisung hin hängte er sich ans Telefon.
Am Freitagmorgen lernte ich wieder einmal unsere so oft geschmähte deutsche Bürokratie schätzen. Flaubert stammte von einem nebenberuflichen Züchter in Maikammer, einem Ãrtchen an der Pfälzer WeinstraÃe. Der Züchter selbst war schon vor über zwanzig Jahren einem Herzinfarkt erlegen, erfuhr ich von Runkel, aber seine rüstige Witwe hatte innerhalb weniger Minuten die Kladde gefunden, in welcher der Moment verzeichnet war, als Flaubert zum ersten Mal das milde Licht der Südpfalz erblickte. Das war vor siebenunddreiÃig Jahren gewesen, und drei Monate nachdem er aus dem Ei geschlüpft war, hatte ihn ein frisch pensionierter Professor für Geologie gekauft, der damals in Bad Bergzabern wohnte, einem Städtchen nahe der französischen Grenze.
Später war das Ehepaar samt Papagei nach Ãberlingen am Bodensee verzogen und hatte dort fast zwanzig Jahre gelebt. Wie Runkel durch diverse Telefonate mit diversen
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