Eiskaltes Schweigen
Tür wurde vorsichtig geschlossen. Wieder rasselte die schwere Kette.
Was wir suchten, fanden wir fast alles in einem Schubladenschränkchen unter dem gläsernen Schreibtisch im winzigen Arbeits- und Gästezimmer: Ordner voller Kontoauszüge, Zeugnisse, Versicherungspolicen.
Das, was von einem Menschenleben am Ende übrig bleibt â Papier.
Während Petzold und Runkel die gefundenen Unterlagen sichteten und in zwei mitgebrachte Klappkisten packten, durchstreifte ich mit den Händen in den Manteltaschen die Wohnung. Sie mochte etwa hundert Quadratmeter messen. Die Küche war gemütlich, viel Holz, karierte Vorhänge und so geräumig wie meine eigene. Das Schlafzimmer war im krassen Gegensatz zu der roten Plüschorgie in Heddesheim sachlich, hell und gerade. Die dominierende Farbe war hier WeiÃ. Das Wohnzimmer dagegen hatte etwas von einer Höhle. Bücherregale bis an die Decke, dicke Vorhänge, mit deren Hilfe man den Raum vermutlich sogar bei Sonnenschein verdunkeln konnte, ein bequemes, für meinen Geschmack zu weiches Sofa, ein kleiner Fernseher, eine noch kleinere Musikanlage. Alles hier wirkte gut gepflegt, war nicht billig, aber auch keineswegs luxuriös. Was ich vermisste, war der übliche Trödel, der sich im Lauf der Jahre ansammelt. Anita Bialas hatte offenbar zu der Sorte Menschen gezählt, die spätestens an Neujahr sämtliche Weihnachtskarten wegwerfen.
In einem Regal links neben der Tür, etwa in Augenhöhe, fand ich es: Gustave Flaubert, Madame Bovary. Das alte Buch mit hübschem Leineneinband sah aus, als wäre es schon mehr als einmal gelesen worden. Ich schlug es auf, aber es war kein Name hineingeschrieben.
»Was hat sie gearbeitet?«, fragte ich meine Kollegen, als ich ins Arbeitszimmer zurückkehrte.
Runkel überreichte mir ein aufgeschlagenes Mäppchen. Der Kontoauszug, auf den sein Zeigefinger deutete, war vom April des letzten Jahres.
»Das ist die letzte Gehaltsüberweisung. Später ist nichts mehr gekommen.«
»IFS«, las ich. »Kennt die jemand?«
Beide zuckten die Achseln.
»Vielleicht hat sie ihren Job verloren«, meinte Petzold. »Obwohl, wir haben bisher nichts gefunden vom Arbeitsamt.«
»Drei Wochen später ist noch eine Ãberweisung über dreiÃigtausend gekommen«, ergänzte Runkel. »Und das Komische ist, sie hat seit April auch kaum was abgehoben. Von dem Konto sind seither nur noch ein paar Ãberweisungen abgegangen. Hausgeld, Krankenversicherung und so.«
»Dann muss hier irgendwo ein Sack Geld vergraben sein.« Petzold stopfte grinsend die Hände in die GesäÃtaschen seiner zu eng gewordenen Jeans. »Was ist, trinken wir noch irgendwo ânen Kaffee zusammen, oder müsst ihr gleich wieder zurück?«
»Also, ich könnt eigentlich einen Happen vertragen«, sagte Runkel mit Blick auf die Uhr.
Auch ich war hungrig, merkte ich jetzt.
So luden wir die zwei Kisten mit unserer Beute in den Kofferraum unseres Dienstwagens. Petzold fuhr immer noch seinen uralten Porsche Carrera und kurvte auch immer noch verbotenerweise im Dienst damit herum. Der Porsche werde mit jedem Jahr kostbarer, erklärte er strahlend und streichelte zärtlich das nachtblau lackierte Blech. »Ich fahr voraus, okay?«
Minuten später saÃen wir im La Piazza in der ScheffelstraÃe, einem Lokal, das es zu meiner Zeit noch nicht gegeben hatte. Ich wählte eine Capricciosa, Runkel entschied sich nach einigem Hin und Her für Spaghetti Carbonara und Petzold für einen Salat mit Essig und Ãl. Anscheinend war er wieder einmal auf Diät. Das erinnerte mich daran, dass auch ich dringend ein wenig abnehmen sollte. Seit der Winter begonnen hatte, hatte ich â ohne irgendetwas an meinen Gewohnheiten zu ändern â drei Kilo zugenommen. So bestellte ich die Pizza wieder ab und lieà mir ebenfalls einen Salat bringen.
Beim Essen erfuhr ich die letzten Neuigkeiten aus der Karlsruher Polizeidirektion, Runkel und ich revanchierten uns mit Anekdoten aus Heidelberg. Birgit Malmberg hatte ihr Psychologiestudium nach dem zweiten Semester aufgegeben und war nach Berlin zurückgekehrt, worüber Petzold nicht mehr übermäÃig traurig zu sein schien. Hirlinger hatte sich immer noch nicht totgesoffen. Der KSC war wieder einmal abgestiegen, derneue Dezernatsleiter ein eitler Aktenfresser und die Polizeipräsidentin immer
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