Eiskaltes Schweigen
nachweisen konnte.
Mein Termin im Rathaus war inzwischen auf unbestimmte Zeit verschoben, da mein Gesprächspartner, ein höherer Beamter im Kulturdezernat, meine Ausrede vermutlich durchschaut hatte und nun beleidigt war.
Ich klatschte in die Hände. »Familienrat, los, los!«
Meine Töchter betraten nacheinander die Küche, setzten sich mit deutlichem Abstand an den Esstisch, legten artig die Hände in den Schoà und sahen mir halb erwartungsvoll, halb hoffnungslos ins Gesicht.
»Ihr habt es fünfzehn Jahre miteinander ausgehalten, ohne euch ernsthaft in die Haare zu kriegen. Es wird sich doch wohl eine Lösung finden lassen für euer Problem, das ich, ehrlich gesagt, immer noch nicht richtig verstanden habe.«
»Erst muss sie sich entschuldigen«, erklärte Louise mit fester Stimme.
»Genau!« Sarah nickte. »Erst muss sie sich entschuldigen.«
»Wenn das alles ist, dann entschuldigt euch.«
Es erfolgte ebenso synchrones wie energisches Schütteln der Köpfe.
»Okay, dann machen wir es anders.« Wozu hatte ich all diese Seminare absolviert und mich zum Schmalspur-Psychologen ausbilden lassen? »Jede von euch hat jetzt genau fünf Minuten Redezeit. Die andere hält in dieser Zeit die Klappe. Wir gehen nach dem Alphabet vor. Louise fängt an.«
»Das ist unfair«, fand Sarah.
»Irgendwer muss ja anfangen.«
»Aber nicht Loui.«
Dann also doch lieber die Provokationsmethode?
»Das Problem ist ja wohl die Band, wenn ich das richtig sehe.«
Dieses Mal nickten sie.
»Dann ist eben ab sofort Schluss mit der Band. Ich verbiete euch so lange alle Proben und Auftritte, bis ihr wieder vernünftig seid.«
»Du bist gemein«, lautete Louises Kommentar.
»Genau«, assistierte Sarah. »Darum gehtâs doch überhaupt nicht.«
»Worum geht es dann?«
Achselzucken.
»Wenn ihr nicht mithelft, sehe ich keine andere Lösung.«
»Wir könnten es schriftlich machen«, schlug Sarah vor. »Jede von uns macht eine Liste, und die geben wir dir dann durch und â¦Â«
»Okay.« Inzwischen schon leicht erschöpft, lehnte ich mich zurück. »Ich lasse euch allein. In einer Viertelstunde treffen wir uns wieder hier und gehen gemeinsam die Beschwerdelisten durch.«
Auf dem Schuhschrank im Flur lag noch die Post von heute, entdeckte ich erst jetzt. Ich nahm sie mit ins Arbeitszimmer. Inmitten der üblichen Werbung für Unterhaltungselektronik, computerisierte Waschmaschinen und Magnet-Armbänder, die gegen Krebs halfen, steckte ein Brief. Ich erkannte die Handschrift sofort wieder. Wieder enthielt der graue Umschlag eine Kunstpostkarte, wieder ein grauenerregendes Motiv von Goya: Ein Soldat will sich an einer Frau vergreifen, die sich heftig wehrt. Von hinten kommt ein Mann mit gezücktem Messer in der Hand und wird ihn in der nächsten Sekunde ermorden. Das Zitat auf der Rückseite war ein anderes als beim ersten Mal:
Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.
Hoffentlich läuteten nicht demnächst irgendwelche Missionare an meiner Tür. Ich warf das Ding in den Papierkorb, wo schon die erste göttliche Botschaft lag.
Meine Töchter klopften leise. Die fünfzehn Minuten waren noch längst nicht vorbei, aber die Listen, die sie mir wortlos überreichten, dennoch beängstigend lang. Im Wesentlichenkannte ich die gegenseitigen Vorwürfe bereits. Hier waren sie ausgeschmückt mit Details wie: »lässt überall ihre Socken rumliegen«, »hängt dauernd am iPod«, »pupst« bis hin zu: »schnarcht«, »ist strunzdumm« und »putzt sich die Zähne nicht richtig«.
»Am besten«, seufzte ich, »wir lösen die Familie auf wegen unüberbrückbarer Gegensätze. Jede sucht sich ein Zimmer, am besten in weit auseinander liegenden Stadtteilen, und dann ist hoffentlich Ruhe.«
»Das â¦Â«, sagte Louise lahm.
»â¦Â geht aber doch nicht«, ergänzte Sarah mit unsicherem Blick.
»Ihr sagt es. Wenn man zusammenlebt, dann muss man sich vertragen. Wenn Menschen miteinander auskommen wollen, dann müssen sie hin und wieder Kompromisse schlieÃen.«
»Wie wärâs mit getrennten Zimmern?«, schlug Louise nach einigen ratlosen Sekunden vor.
»Vergesst es. Vor etwas mehr als einem Jahr, als wir hier eingezogen
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