Eiskaltes Schweigen
noch die Alte.
Als ich meinen Salat zur Hälfte vertilgt hatte, surrte mein Handy.
»Wir haben hier ein kleines Problem, Chef.« Evalina Krauss klang aufgewühlt. »Ich brauche eine Entscheidung von Ihnen.«
In einem etwas abseits stehenden Einfamilienhaus in der Nähe des Bergfriedhofs randalierte seit Tagen ein Hund, berichtete sie. Den allein lebenden Bewohner, einen älteren Mann, hatten die Nachbarn längere Zeit nicht mehr gesehen. Nun stand die Oberkommissarin zusammen mit einem nicht weniger ratlosen Kollegen vor dem verschlossenen Haus und wusste nicht, was sie tun sollte. Auf ihr Klingeln öffnete niemand, und der Mann vom Schlüsseldienst weigerte sich, die Tür zu öffnen, gegen die von innen unentwegt und offenbar völlig von Sinnen ein mächtiger Schäferhund sprang.
»Müssen wir ihn erschieÃen?«, fragte sie verzweifelt. »Oder was mache ich jetzt?«
»Fordern Sie jemanden von der Hundestaffel an«, entschied ich. »Und falls der mit dem Tier auch nicht zurechtkommt, dann wird Ihnen wohl nichts anderes übrig bleiben.«
Runkel fuhr. Ich lehnte mich zurück, war ein wenig schläfrig und sah hinaus. Der Regen schien allmählich schwächer zu werden. Auf den Hügeln des Kraichgaus lag noch hie und da Schnee. Die Autos vor uns wirbelten Wasser und Schmutz auf und nebelten uns ein, sodass die Scheibenwischer ununterbrochen zu tun hatten. Zwischen Bruchsal und Kronau waren fünf Kilometer Stau, und ich war kurz davor einzunicken, als mein Handy sich erneut meldete.
»Es ist nicht anders gegangen«, sagte Kollegin Krauss atemlos. »Tut mir leid. Wir haben ihn erschieÃen müssen. Den Hund.«
»Und wie sieht es im Haus aus?«
»Eine Katastrophe, Chef«, erwiderte sie mit belegter Stimme. »Könnten Sie vielleicht mal kurz vorbeikommen?«
Ich pappte das Blaulicht aufs Dach, Runkel schaltete das Signalhorn ein und begann mit sichtlichem Vergnügen, die Autos vor uns zur Seite zu drängeln. Fünf Minuten später hatten wir den Stau hinter uns gelassen.
Oberkommissarin Krauss lotste uns per Telefon zum Ort des Geschehens.
9
»Mich kriegen da keine zehn Pferde mehr rein«, erklärte Evalina Krauss kategorisch, als sie uns kreidebleich vor dem Haus am Oberen Gaisbergweg empfing, einem schmalen SträÃchen am Hang über der Heidelberger Weststadt. »Keine Macht der Welt kriegt mich da noch mal rein!«
Wir duckten uns fröstelnd unter das Vordach, wo es zum Glück trocken war. Die Haustür stand weit offen. Von innen hörte ich gedämpft Stimmen. Einige Schritte entfernt langweilte sich eine kleine Gruppe Menschen unter Regenschirmen, die unser Treiben beobachtete. Ein babyblauer Mazda bremste leise quietschend, und ein mir bekannter Journalist, der für verschiedene Zeitungen arbeitete, kletterte heraus. Auch der viel gerühmte und lange herbeigesehnte digitale Polizeifunk schien schon wieder nicht mehr abhörsicher zu sein. Oder der Mann vom Schlüsseldienst, der sich unschlüssig neben der Haustür herumdrückte, hatte sich ein kleines Zubrot verdient.
»Was liegt an?«, fragte der Journalist jovial. »Was ist hier los?«
Evalina Krauss ging ihm entgegen und beantwortete seine Fragen, wobei sie heftig gestikulierte und sich ständig das aschblonde Haar hinters Ohr schob. Der Bewohner des Hauses, vor dem ich stand, lag tot im Wohnzimmer, wusste ich inzwischen, und zwar schon seit Tagen, denn der völlig ausgehungerte Hund hatte in seiner Not irgendwann begonnen, sein Herrchen aufzufressen.
»Gut möglich, dass er ihn auch umgebracht hat«, hörte ich die Oberkommissarin sagen und trat einen Schritt zur Seite, weil ein junger, hagerer Notarzt, gefolgt von einem übergewichtigen und aus irgendeinem Grund heftig keuchenden Sanitäter, das Haus verlieÃ. Beiden standen SchweiÃperlen auf der Stirn.
»So was passiert manchmal«, fuhr Evalina Krauss fort. »Man rutscht aus, der Hund erschreckt sich und fällt über einen her. Es kommt vor, dass Leute von ihrem eigenen Hund angefallen werden. Aber anschlieÃend auch noch aufgefressen, meine Güte â¦Â«
Der Name des Toten war John Karenke, erfuhren ich und der eifrig Notizen machende Journalist, er war einundsiebzig Jahre alt geworden. Der tote Hund hingegen war noch kein halbes Jahr alt gewesen. Sein Besitzer hatte ihn erst kürzlich angeschafft.
Ich beschloss,
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