Eiskaltes Schweigen
an dem mein Chef herausgefunden hatte, mit wem sich seine Frau zweimal die Woche die Abende vertrieb? Bevor ich etwas sagen konnte, fuhr Theresa fort:
»Er ist krank.« Sie schluckte. »Es ist â¦Â Ich habe auf einmal ein so furchtbar schlechtes Gewissen. Ich muss auch gleich wieder los. Bitte entschuldige.«
»Ernstlich krank?«
Sie nickte und schloss die Augen.
Unten, auf der regennassen Ladenburger StraÃe, fuhren Autos vorbei auf der hoffnungslosen Suche nach einer Parklücke. Eilige Schritte tackerten den Gehweg entlang. Irgendwo klapperte ein Fensterladen im Wind.
»Es tut mir so leid«, sagte ich schlieÃlich und fühlte mich unendlich blöde dabei.
Theresa streichelte meine Hand, als müsste sie mich trösten und nicht umgekehrt. Ich wagte nicht, die Frage zu stellen, die mir auf der Zunge brannte: HeiÃt das, dass wir uns nicht mehr sehen können?
Aber Theresa verstand mich auch ohne Worte.
»Ich weià im Moment nicht, wie es mit uns weitergeht«, murmelte sie und hatte plötzlich Tränen in den Augen. »Ich kann es wirklich nicht sagen. Bitte entschuldige.«
»Hör endlich auf, dich andauernd zu entschuldigen.«
»Entschuldige.«
Ihr Lachen schnitt mir ins Herz.
Plötzlich sprang sie auf und reichte mir die Hand, als wäre ich irgendein Fremder, mit dem sie auf einer Parkbank ein paar nette Worte gewechselt hatte. Ich erhob mich ebenfalls und drückte sie fest an mich. Lange standen wir da und hielten uns gegenseitig fest.
Der gröÃte Schmerz, der uns treffen kann, ist, einen geliebten Menschen traurig zu sehen und nicht helfen zu können.
Es dauerte Minuten, bis sie sich beruhigte, dann löste sie sich von mir und begann wortlos, sich auszuziehen. Sekunden später fielen wir übereinander her, als hätten wir uns Monate nicht gesehen.
AnschlieÃend weinte sie wieder, und mir war übel vor Traurigkeit und einer Sehnsucht, die völlig sinnlos war, da ihr Ziel ja zärtlich an mich geschmiegt in meinen Armen lag.
Irgendwann musste sie fort, und ich blieb allein zurück. Nie im Leben hatte ich mich so einsam gefühlt und zugleich so wütend. Wütend auf Liebekind und seine idiotische Krankheit, wütend auf das Schicksal, das sich solche Gemeinheiten ausdachte, wütend auf mich selbst, weil ich wütend war. Am liebsten hätte ich etwas an die Wand geschmissen. Ich fand jedoch nichts, das sich dafür geeignet hätte.
Am Samstag begannen meine Töchter mit den Umräum- und Renovierungsarbeiten. Mit meiner Unterstützung wanderte mein Schreibtisch ins Wohnzimmer und fand dort Platz unter dem Fenster mit Blick auf die Büsche im Vorgarten. Ein Regal voller Ordner wurde bei dieser Gelegenheit gründlich ausgemistet und zog anschlieÃend halb geleert in den Flur um. Gegen Mittag war das Zimmer leer, und ich zeigte den beiden, wie man mit Abdeckplane, Wandfarbe und Malerrolle umgeht. Sie zogen die ältesten Jeans an, die sie finden konnten, aus der Mode gekommene T-Shirts, setzten sich verwegene Papiermützen auf die Köpfe, die sie unter groÃem Gekicher selbst gefaltet hatten, und machten sich ans Werk. Seit sie beschlossen hatten, nicht mehr im selben Zimmer zu schlafen, waren sie wieder ein Herz und eine Seele.
Sarah hatte inzwischen beschlossen, dass auch das »alte« Zimmer einen neuen Anstrich benötige. Ãber die Farben war gestern lange diskutiert worden. Das Ergebnis war: blasslila für mein ehemaliges Arbeitszimmer, zitronengelb für das andere. Oder umgekehrt. Es war mir gleichgültig, solange sich der Sachschaden irgendwie in Grenzen hielt und ich meine Ruhe hatte.
Ich hatte unruhig geschlafen und die halbe Nacht über die Frage gegrübelt, weshalb mich plötzlich das Gewissen quälte, nur weil der Ehemann meiner Geliebten krank war. Auf einmal kam mir unendlich gemein vor, was wir taten, genauer: getan hatten. Ich ertappte mich dabei, wie ich an Theresa schon als Vergangenheit dachte. Seit gestern Abend konnte ich mir nicht mehr vorstellen, sie zu berühren, sie zu küssen. Und dabei hätte ich mir gerade jetzt nichts sehnlicher gewünscht.
Nie wieder würde ich ihren Mann vergessen können, wenn sie bei mir war.
Nie wieder würde ich mich gut fühlen, wenn ich sie umarmte.
Ich beschloss, meine Töchter ihrem farbenfrohen Schicksal zu überlassen, in die Stadt zu gehen und mir irgendetwas zu
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