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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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mir den Anblick im Inneren des Hauses zu ersparen und mich von dem ungeduldig von einem Bein aufs andere tretenden Rolf Runkel in mein Büro chauffieren zu lassen. Da es sich hier nach Ansicht des Arztes um einen – wenn auch ungewöhnlichen und äußerst unappetitlichen – Unfall handelte, gab es für mich und meine Leute hier nichts mehr zu tun.
    Der Journalist machte noch ein paar Fotos vom Haus und den verloren im Regen herumstehenden Schaulustigen und sah dann ebenfalls zu, dass er wieder ins Trockene kam.
    Die Handtasche war gefunden worden, erfuhr ich von meiner Sekretärin, während ich meinen durchnässten Mantel abstreifte.
    Â»Grad hat eine Streife sie gebracht.« Sie wies auf eine wasserdurchtränkte Handtasche in einem offenen Wellpappkarton, dessen Boden sich allmählich dunkel färbte. »Ein Briefträger hat sie heut’ Morgen gefunden. Zweihundert Meter vom Hochhaus entfernt im Straßengraben.«
    Ich trug den Karton in mein Büro, zog Latexhandschuhe an und öffnete den Verschluss der Handtasche, ohne sie aus der Schachtel zu nehmen. Hätte mich jemand aufgefordert, eine Liste all der Dinge aufzustellen, die eine durchschnittliche deutsche Frau durchschnittlichen Alters in ihrer durchschnittlichen Handtasche aufbewahrte, so wäre ziemlich genau das herausgekommen, was ich in dieser Tasche fand: ein flaches Portemonnaie aus Krokoleder, das nur noch Münzen, eine EC-Karte und zwei Kreditkarten enthielt. Ein Personalausweis, ausgestellt auf Anita Bialas, geboren am elften Juli neunzehnhundertachtundsechzigin Ost-Berlin, ein älteres Nokia-Handy, das die Nässe offenbar nicht überlebt hatte. Zahnseide in einem weißen Kunststoffkästchen kam zum Vorschein, ein dunkelroter Lippenstift, ein Kamm, einige Haarnadeln, ein halbleeres und patschnasses Päckchen Papiertaschentücher, zwei originalverpackte Kondome, ein hoffnungslos durchweichtes Streichholzbriefchen aus dem Ochsen, wo sie ihren letzten Abend verbracht hatte, vier Sicherheitsnadeln, drei beängstigend aufgequollene Tampons.
    Ganz unten lagen ein schwerer goldener Armreif und eine ebenfalls goldene Halskette. Beide Schmuckstücke waren aus echtem Gold, äußerst fein gearbeitet und – das sah selbst ich als Laie – kostbar.
    Ich breitete alles auf meinem Besprechungstisch aus und war am Ende kein bisschen klüger als zuvor. Abgesehen von der Tatsache, dass Anita Bialas, was ihren Geburtstag anbelangte, Gregor Reuschlin belogen hatte. Vermutlich ein Trick, um mit ihm ins Gespräch zu kommen.
    Draußen regnete es immer noch. Ich war müde und freute mich auf die Stunden mit Theresa am Abend, auf die Wärme ihrer Arme, ihre weiche Stimme, ihren Duft.
    An diesem Abend war Theresa nicht in der Stimmung für Zärtlichkeiten. Ich sah es schon an ihrem Blick, als sie durch die Tür kam. Der Begrüßungskuss war kühl. Sie wirkte zugleich erschöpft und unruhig.
    Â»Was ist?«, fragte ich, als ich ihren Mantel an die Kaffeehaus-Garderobe hängte, die ich vor einigen Wochen bei einem Trödler in der Altstadt organisiert hatte. »Stress zu Hause?«
    Â»Ein bisschen.« Seufzend fuhr sie sich über die Stirn, schüttelte ihr feuchtes Haar zurecht. Heute trug sie wieder einmal die alte Perlenkette, die sie an dem Tag getragen hatte, als ich sie zum ersten Mal sah. Das war vor anderthalb Jahren gewesen, im August, anlässlich meiner Amtseinführung.
    Sie ließ sich auf das kleine, lustig-bunte Sofa fallen, das sie besorgt hatte, und klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben ihr. »Nimm mich in den Arm, Alexander!«
    Â»Was ist denn los?«, fragte ich besorgt, als ich neben ihr saßund sie festhielt. In ihren Augenwinkeln glitzerte es feucht. Sie klammerte sich an mich, als wäre es das letzte Mal. Ich streichelte ihren kräftigen Rücken.
    Â»Entschuldige«, schniefte sie nach einer Weile. »Tut mir leid.«
    Â»Was?«, fragte ich.
    Â»Dass ich dir so die Stimmung verhagele.«
    Â»Nirgendwo scheint immer die Sonne.«
    Â»Sind dämliche Sprüche deine neue Leidenschaft?« Mit traurigem Lächeln schmiegte sie den Kopf an meine Schulter.
    Â»Immerhin hat er dich zum Lächeln gebracht. Aber nun erzähl endlich, was ist passiert?«
    Â»Es ist wegen Egon.«
    Dass sie ihren Mann Egon und nicht Egonchen nannte, war kein gutes Zeichen. Sollte heute der Tag sein,

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