Eiskaltes Schweigen
untergegangen. Ich fuhr zurück in Richtung Innenstadt und steuerte die Tiefgarage der Städtischen Bühnen an. Dieses Mal fand ich die richtigen StraÃen und Abzweigungen ganz von selbst.
»Was ist das?«, fragte Louise, als sie das hell erleuchtete, moderne Gebäude in der Nähe des nördlichen Mainufers erblickte. »Was ist da drin?«
»Demnächst wir drei.«
»Sag schon, was das ist?«
»Ein Theater.«
»Paps, bitte! Sag endlich, was machen wir?«
»Wir gehen in die Oper.«
»Das ist nicht witzig!« Louise klang inzwischen verzweifelt.
»Was sollen wir denn in einer Oper?«, sekundierte Sarah entsetzt. »Von wem ist die überhaupt? Wahrscheinlich von Mozart oder so.«
»Puccini«, erwiderte ich. »Sie heiÃt Turandot.«
Eine Viertelstunde vor Beginn drängelten wir uns zu unseren Plätzen in der achten Reihe durch. Zuvor hatten wir im Foyer Sekt getrunken und Häppchen gegessen, wie es sich gehörte. Die Zwillinge waren stocksauer und sprachen nicht mehr mit mir, seit wir den Wagen verlassen hatten. Das Haus war ausverkauft, und die drei Karten hatte ich nur mit viel Glück ergattert, da sie am Freitag zurückgegeben worden waren.
Die Zwillinge witzelten über die unzähligen grau- und weiÃhaarigen Menschen um uns herum, die mit wichtigen Mienen ihre Programmhefte studierten. Sie versuchten auszurechnen, wie viele Millionen Lebensjahre hier versammelt waren. AnschlieÃend empörten sie sich eine Weile über die Preise, die sie auf den Eintrittskarten entdeckt hatten, und überlegten, was man sich Tolles für das Geld hätte kaufen können. Als das Orchester zu stimmen begann, wollten sie wissen, ob es schon angefangen hatte.
Das Licht erlosch, der schwere Samtvorhang hob sich und gab den Blick frei auf Turandots schwarzes Schloss in der Verbotenen Stadt Pekings, von dessen Zinnen die abgehackten Köpfe ihrer unglücklichen Freier herabstarrten. Turandot, die eiskalte Prinzessin, die die Liebe nicht kannte und sich die Männer mit allen Tricks und Grausamkeiten vom schönen Leib hielt.
Die Zwillinge verdrehten die Augen.
Auftritt des Prinzen Kalaf mit seinem blinden Vater und der treuen Sklavin Liu, die den jungen Prinzen heimlich liebt. Meine Töchter simulierten eine Simultanohnmacht. Natürlich verguckt sich auch Kalaf in die schöne Turandot und will wider jede Vernunft um sie werben. Die Zwillinge schnarchten leise. Liu versucht, Kalaf mit allen Mitteln zurückzuhalten, da sie nicht ohne Grund um sein Leben fürchtet. Als ich während Lius erster Arie zu meinen Töchtern hinübersah, hatten sie die Augen offen und grinsten nicht mehr.
Ende des ersten Akts, Applaus. Sogar die Zwillinge klatschten ein bisschen.
Während der Pause nach dem zweiten Akt, ich spendierte eine zweite Runde Sekt, waren meine Töchter ungewöhnlich wortkarg.
Dritter Akt. Kalaf hat seine drei Rätsel mit Glück gelöst, aber Turandot will ihn dennoch nicht zum Mann. Sie ist wütend, weil ihr Panzer durchbrochen wurde. Turandot lässt Liu gefangen nehmen und verhören, um Kalafs Namen zu erfahren. Sollte die grausame Prinzessin seinen Namen wissen, ehe die Sonne aufgeht, dann will Kalaf nicht auf der Einlösung ihres Eheversprechens bestehen. Liu weigert sich, den Namen ihres Liebsten zu verraten, singt eine Arie, die zum Bewegendsten gehört, was die Menschheit bisher an Musik hervorgebracht hat, entreiÃt am Ende einem ihrer Peiniger den Dolch und ersticht sich.
Meine Töchter lauschten mit offenen Mündern.
Auch Turandot ist fassungslos darüber, was die Liebe vermag, und schweigt für sehr lange Zeit. Und natürlich kriegen sich Kalaf und Turandot am Ende, und vielleicht werden die beiden glücklich.
Die Zwillinge mussten hin und wieder blinzeln.
»Das war echt mördergeil, Paps«, gestand Sarah während der nächtlichen Rückfahrt in Richtung Süden. »Gehen wir da wieder mal hin?«
»Ich fände es schön, wenn du âºmördergeilâ¹ aus deinem Wortschatz streichen könntest.«
Louise hatte wieder einmal die iPod-Stöpsel in den Ohren und hörte nichts. Mit für mich immer wieder verblüffender Daumenfertigkeit tippte sie eine SMS in ihr Handy.
Der erste Mensch, den ich am Montagmorgen in der Polizeidirektion traf, war meine Erste Kriminalhauptkommissarin Klara Vangelis.
»Habe ich in Ihrem Urlaubsantrag
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