Eiskaltes Schweigen
können vielleicht helfen, weitere Morde zu verhindern. Ist das denn nichts für Sie? Finden Sie es wirklich okay, wenn unschuldige Menschen getötet werden? Finden Sie das nicht ungerecht?«
Unendlich langsam, Muskel für Muskel entspannte er sich. Dann murmelte er etwas, was ich nicht verstand.
»Wie bitte?«
»Sind nicht unschuldig«, meinte ich beim zweiten Anlauf zu verstehen.
Irgendwo auf den endlosen Fluren der JVA schrillte eine Telefonklingel. Dann war es wieder still. Ruppke starrte auf seine Hände, die er jetzt auf dem Tisch wie zum Gebet gefaltet hatte, und seine Haut war so blass, und sein Atem ging so flach, dass man hätte denken können, er sei tot.
Ich verspürte plötzlich eine unbändige Lust, ihn zu erwürgen, damit er es auch wirklich war.
»Sie glauben nicht an Gerechtigkeit«, sagte ich.
Horst Ruppke schwieg immer noch. Aber etwas in seiner Miene hatte sich verändert.
»Doch«, sagte er schlieÃlich mit der Stimme eines Menschen, der das Sprechen nicht gewohnt ist. »Gott der Herr ist gerecht.«
Wieder war es eine Weile still. Ich hörte Klara Vangelis neben mir atmen.
»Menschen sind Schweine«, fügte Ruppke hinzu.
»Und deine Kinder?«, fuhr Vangelis ihn an. »Waren das auch Schweine? Hast du die deshalb abgestochen, deine Kinder, weil sie Schweine waren?«
Ich sah sie kalt an. »Lassen Sie mich bitte mit Herrn Ruppke allein.«
Ihr Blick blieb ausdruckslos, als sie sich erhob, ihre Handtasche über die Schulter schwang und zur Tür ging. Die öffnete sich, bevor sie angeklopft hatte.
Nun war ich mit dem vierfachen Mörder allein. Ich hoffte, ihm gewachsen zu sein, falls er die Nerven verlor. Ich wusste,dass vor der Tür Menschen standen, die mir im Krisenfall zu Hilfe kommen würden.
Ich gönnte Ruppke eine Minute Ruhe.
»Sie hat leider schon ein bisschen recht«, sagte ich dann leise. »Das mit Ihrer Frau und dem Typen, der Ihnen Hörner aufgesetzt hat, das kann ich ja irgendwo verstehen. Aber die Kinder â¦Â Musste das denn wirklich sein?«
Horst Ruppke zog es wieder vor zu schweigen. In mir kochte langsam, ganz langsam wieder eine ungeheure Wut hoch. SchlieÃlich packte ich ihn am Kinn, um ihn zu zwingen, mir ins Gesicht zu sehen. Aber sein Gletscherblick wich mir hartnäckig aus.
»Beschützen!«, nuschelte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Ich lieà ihn los. »Ich musst sie doch beschützen!«
Unendlich müde starrte er auf seine immer noch gefalteten Hände.
»Ich hab sie erlöst. Ich hab sie gerettet. Die wären doch genau so geworden wie ihre Mutter. Das durft ich doch nicht zulassen! Das durft ich doch nicht.«
»Haben Sie mit Durian oft über diese Dinge gesprochen?«
Das kurze Flackern in seinem Blick entging mir nicht.
»Sie haben also.«
»Geht keinen was an, was der Michi und ich geredet haben.«
»Was wissen Sie über seine Pläne?«
Ich lag jetzt weit zurückgelehnt und demonstrativ entspannt in meinem Holzstuhl. Zog einen Stift aus der Innentasche meines Jacketts und begann, damit herumzuspielen. Er stammte aus einem Hotel in Malaga, wo ich vor vielen Jahren mit Vera zusammen Urlaub gemacht hatte. Damals waren unsere Töchter zwei oder drei Jahre alt gewesen.
DrauÃen auf dem Flur begann wieder die Telefonklingel zu randalieren. Ruppkes Atem war in den letzten Minuten heftiger geworden. Offenbar kämpfte er einen inneren Kampf mit sich.
»Was hat Durian eigentlich die ganze Zeit gemacht?«, fragte ich, ohne von meinem Spielzeug aufzublicken. »Wie hat er sich so die Zeit vertrieben?«
»Gelesen. Die ganze Bibliothek. Rauf und runter.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Alles Mögliche. Die Bibel.«
»Ist er religiös?«
»Ja klar!« Ruppke nickte mit plötzlichem Eifer. »Ich ja auch. Wir glauben nämlich doch an die Gerechtigkeit, wissen Sie? Gott der Herr ist nämlich gerecht. Nur die Menschen, die sind es nicht. Die Menschen sind böse. Von Natur aus. Die meisten, jedenfalls.«
»Dann handelt er sozusagen im Auftrag Gottes?«
Es gelang mir, ernst und ruhig zu bleiben. Alles andere hätte an diesem Punkt vermutlich zu einer Katastrophe oder zumindest zum abrupten Ende des Gesprächs geführt. Vangelisâ Taktik war aufgegangen: sie war nun der Feind für Ruppke, und dadurch war ich nach seiner Logik zum Verbündeten
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