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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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stattdessen leise.
    Â»Ist keine Liste.«
    Ich erstarrte. Das war die völlig falsche Antwort gewesen. Die richtige hätte zum Beispiel gelautet: »Es gibt keine Liste.« Es kostete mich große Mühe, meine plötzliche Erregung zu verbergen, aber es gelang mir.
    Â»Was ist es dann?«, fragte ich ruhig, nachdem ich einige Sekunden hatte verstreichen lassen.
    Vor den Fenstern strömte der Regen. Irgendwo dort draußen plätscherte ein regelrechter Bach aus einer verstopften Regenrinne in den Hof.
    Mir kam ein völlig verrückter Gedanke. Ich sprang auf, ging zur Tür. Wieder öffnete sie sich, bevor ich geklopft hatte.
    Â»Zellendurchsuchung«, sagte ich. »Sofort. Gefahr im Verzug.«
    Hinter meinem Rücken heulte Horst Ruppke auf wie ein tödlich getroffenes kleines Tier.

21
    Zwanzig Minuten später standen wir vor dem mächtigen Tor der Vollzugsanstalt im kalten Nieselregen. Unter den Arm geklemmt trug ich einen braunen Umschlag, der – wie Ruppke am Ende schließlich gebeichtet hatte – etwa einhundert beidseitig handbeschriebene Blätter enthielt. Durians Vermächtnis. Er hatte während seines Gefängnisaufenthalts ein Buch geschrieben. Ein Buch all der Kränkungen, die man ihm vermeintlich oder tatsächlich zugefügt hatte. Eine fast zweihundert Seiten lange Begründung für seine Taten. Bei seiner Entlassung hatte er das Buch in Ruppkes Obhut zurückgelassen und diesen gebeten, es im verschlossenen Umschlag aufzubewahren und erst dann weiterzugeben, wenn er, Durian, tot war. Dann sollte es als nachträgliche Rechtfertigung veröffentlicht werden. Die Verwertungsrechte hatte er in einem fachmännisch formulierten Vertrag an Ruppke abgetreten.
    Â»Was halten Sie davon, wenn wir irgendwo einen Happen essen?«, fragte ich Vangelis, die mit finsterer Miene neben mir stand. »Ich will so schnell wie möglich dieses Zeug hier durchsehen.«
    Da wir bei dem inzwischen mit pappigen Schneeflocken durchmischten Regen nicht weit zu Fuß gehen wollten, landeten wir im Schlosscafé, nur wenige Schritte von der JVA entfernt. Hier gab es selbst nachmittags um kurz nach vier noch eine kleine Auswahl an warmen Gerichten.
    Wir setzten uns an einen Tisch in die Nähe eines der goldfarben lackierten Heizkörper. Ich erinnerte mich an meine guten Vorsätze und bestellte mir eine Badische Kartoffelsuppe mit Croutons, Vangelis einen italienischen Salat. Wir waren fast allein in dem kleinen, in warmen Farben gehaltenen Lokal. Außer uns waren nur noch zwei Lehrer anwesend, die auf ihre Schule und deren Rektor schimpften, sowie ein frisch verliebtes Pärchen, das von seiner Umgebung nichts wahrnahm.
    Als die Getränke auf dem Tisch standen, öffnete Vangelis den Umschlag. Zum Vorschein kam ein Packen kariertes Ringbuchpapier,das mit der akkuraten Handschrift beschrieben war, die ich schon von den Bibelzitaten kannte. Auch hier hatte er einen Füller benutzt, und offensichtlich handelte es sich um eine Reinschrift, denn es war nichts durchgestrichen, nichts verbessert, nichts hinzugefügt.
    Â»Das Buch der Kränkungen«, las ich den Titel auf der ersten Seite halblaut.
    Unser Essen kam. Die junge, spindeldürre Bedienung, die sehr italienisch aussah und ein sehr breites Badisch sprach, warf einen neugierigen Blick auf den Papierstapel.
    Â»Wird das ein Roman?«, fragte sie neugierig. »Sind Sie Schriftsteller oder so was?«
    Â»Nein, es ist von jemand anderem«, antwortete ich und nahm einen großen Schluck von meinem herrlich heißen Schwarztee.
    Â»Dann sind Sie Verleger oder so was? Ich schreib nämlich Gedichte und kleine Geschichten.« Sie schenkte mir einen sensationellen Augenaufschlag und errötete hauchzart. An ihren Ohren baumelten große goldene Ringe. »Falls Sie an so was interessiert sind, ich könnt Ihnen gern mal ein paar Sachen schicken.«
    Â»Im Moment haben wir leider keinen Bedarf«, versetzte Vangelis kühl und begann, mit der rechten Hand zu essen und mit der linken zu blättern. Die Bedienung verzog sich gekränkt hinter den Tresen.
    Vangelis berichtete mir, was sie las und größtenteils nur überflog.
    Michael Durian erzählte in erstaunlich gutem Stil zunächst von seiner Vergangenheit, seinen Verlegerträumen, seiner Ehe mit Irina, die er offenbar sehr geliebt hatte, vielleicht zu sehr. Dabei blieb er nicht ohne Selbstkritik und

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