Eiskaltes Schweigen
erzählte er ihnen, er habe etwas Schlechtes gegessen, was die Wahrheit war, und dann ging er mit seinen beiden Kindern an der Hand nach Hause. Ruhig und ernst und langsam, weil der Kleine noch nicht gut zu Fuà war.
Dort angekommen, legte er die Kinder in ihre Betten, was zu verwundertem Protest geführt haben dürfte, da immer noch erst früher Nachmittag war. Die Kleider der Kinder fand man später säuberlich gefaltet über Stuhllehnen gelegt. Beide hatten ihre Pyjamas anziehen müssen. Dann war Ruppke in die Küche gegangen und mit einem Messer in der Hand zurückgekehrt.
Erst am übernächsten Tag fiel Nachbarn auf, dass man von der netten Familie Ruppke niemanden mehr zu Gesicht bekam. Den toten Nebenbuhler hatte niemand vermisst, da er allein lebte.
Man fand Horst Ruppke in seinem Wohnzimmer, bei heruntergelassenen Rollläden vor dem Fernseher sitzend. Er lieà sich widerstandslos festnehmen und sprach monatelang kein Wort.
»Es ist sehr wichtig für uns, dass Sie mit uns reden.« Meine Freundlichkeit klang schon nicht mehr ganz echt. »Und wir haben leider wenig Zeit.«
Ruppke saà da, als wäre er taub und blind. Die Hände lagen entspannt auf den Knien. Der Mund mit den schmalen, farblosen Lippen schien jetzt ein wenig weiter offen zu stehen als zuvor. Seit Atem ging ruhig und gleichmäÃig.
Ich legte die Unterarme auf den Tisch und beugte mich vor. »Ihr Freund hat drei Menschen ermordet.«
Keine Regung, nichts.
»Erstochen.«
Das Grinsen des Bewachers wurde immer breiter.
»Würden Sie uns bitte allein lassen?«, sagte ich zu ihm.
Achselzuckend trollte er sich und zog zum Abschied noch einmal deftig die Nase hoch.
»Wissen Sie, ob er noch mehr Menschen auf seiner Liste hat?«
Nichts.
»Er hat doch bestimmt mit Ihnen über seinen Rachefeldzug gesprochen?«
Endlich eine Reaktion: Ruppke machte mit dem Mundwinkel ein schmatzendes Geräusch. Er verfügte zwar über einen kräftigen Körper, wirkte jedoch weder aggressiv noch trainiert. Ich fragte mich, womit er sich in der JVA den Respekt verschafft hatte, den er offenbar genoss. Eines wusste ich: In den Gefängnissenstanden die mehrfachen Mörder oben im Ranking. Am unteren Ende bewegten sich die Kinderschänder und -mörder.
Ruppkes Augen waren in einer Weise hellblau, dass einem bei ihrem Anblick kalt werden konnte.
Ich beugte mich noch weiter über den Tisch. »HeiÃt das Ja oder Nein?«
»Gar nix heiÃt das.«
Immerhin, er konnte offenbar hören und sprechen.
»Sie sollen sich gut verstanden haben«, sagte ich und ging wieder auf Abstand. »Und jetzt macht er genau das, was Sie damals mit Ihrer Frau gemacht haben. Und mit Ihren Kindern.«
Täuschte ich mich, oder war er ein wenig zusammengezuckt bei meinem letzten Wort?
»Wie ist das eigentlich, wenn man seine eigenen Kinder abschlachtet?«, fragte Vangelis mit Eiseskälte in der Stimme. Auch sie hatte sofort gespürt, wo Ruppke zu packen war. »Macht das Spa� Hat dich das aufgegeilt?«
Er wurde blass. Seine Miene war plötzlich starr, seine Gletscheraugen weit. Ich machte mich auf einen körperlichen Angriff gefasst. Aber Horst Ruppke schwieg und bewegte sich um keinen Millimeter.
Vangelis sah ihm ungerührt ins Gesicht. Aber auch sie war jetzt wachsam und sprungbereit.
»Das muss doch komisch sein, bei Kindern«, fuhr sie nachdenklich fort. »Erwachsene, die kann man hassen. Die kann man bestrafen, wenn sie etwas Böses gemacht haben. Aber Kinder? Wofür hast du die denn bestraft?«
Ruppke war unter jedem ihrer Sätze zusammengezuckt. Jeder Muskel seines Körpers schien jetzt angespannt zu sein. Sein Gesicht war weià wie Gips, auf der Stirn standen SchweiÃperlen. Seine Unterlippe zitterte.
»Hat dir das denn gar nicht wehgetan, die Kinder abzustechen?«, stieà Vangelis gnadenlos nach. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie man das aushält, als Vater. Du hast sie doch bestimmt auf dem Arm gehabt, als sie klein waren. Du musst sie doch mal gemocht haben, oder nicht? Ein kleines bisschen wenigstens?«
Das Zittern von Ruppkes Unterlippe wurde stärker.
Auch ich konnte die Situation fast nicht mehr ertragen. Aber ich verstand, welche Strategie Vangelis verfolgte.
»Hören Sie zu, Herr Ruppke«, sagte ich, und es gelang mir, meine Stimme ruhig und mitfühlend klingen zu lassen. »Sie
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