Eiskaltes Schweigen
Literatur! Wie tief sollte ich denn noch fallen?«
Am Ende war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich eine Stellung zu suchen. So war er tatsächlich Taxi gefahren, hatte eine Weile als Hilfskraft in einem Büro im Karlsruher Hafen gearbeitet, schlieÃlich sogar im GroÃmarkt Kisten geschleppt. Dennoch hatte es ihm ständig an Geld gefehlt, und er hatte kaum die Miete für seine winzige Einzimmerwohnung aufbringen können.
Da war er schlieÃlich auf die irrwitzige Idee gekommen, eine Bank zu überfallen.
Den letzten Anstoà hatte offenbar ein Zeitungsbericht gegeben, der von einem Räuberpärchen handelte, das seit Jahren die Polizei narrte, alle paar Monate eine kleine Bankfiliale ausplünderte und einfach nicht zu fassen war. Er hatte das Muster genau studiert: Die beiden wählten immer abgelegene Filialen aus, die möglichst weit entfernt vom nächsten Polizeirevier lagen. Immer kamen sie kurz vor Feierabend, erklärten den Angestellten mit ausgesuchter Höflichkeit, es handle sich um einen Ãberfall, zeigten kurz eine Pistole herum, von der niemand wusste, ob sie überhaupt echt war. Die Bankangestellten händigten den beiden zwischen dreiÃig und vierzig Jahre alten Tätern das vorrätige Bargeld aus, wurden in einem von der StraÃe nicht einsehbaren Raum gefesselt, mussten die Autoschlüssel herausgeben. Nie war jemand verletzt worden bei diesen Ãberfällen, die immer nur wenige Minuten dauerten.
Vangelis blättert weiter. Wir kamen â es mochten vielleicht noch dreiÃig, vierzig Seiten sein â zu Kapitel vier.
Sie erstarrte. Sah mich an, blickte wieder auf das Papier, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ich verdrehte den Kopf, um die Ãberschrift entziffern zu können, die ihr so die Sprache verschlagen hatte.
Kapitel vier war mit »A. Gerlach« überschrieben.
Das Elend des Menschen ist, von seiner Sterblichkeit zu wissen. Der Gedanke, dass das Leben nicht ewig dauern wird, ist in der Jugendzeit unerträglich, empörend, obszön. Später ändert sich das unmerklich. Man hat vieles erlebt, manches erlitten, und der Gedanke, es könnte irgendwann nicht mehr weitergehen, kommt einem in winzigen Schritten näher, wird vertrauter, vielleicht, in hohem Alter, sogar sympathisch.
Es ist jedoch ein groÃer Unterschied, ob wir abstrakt über unseren Tod nachdenken im Sinne einer Möglichkeit, die nicht von der Hand zu weisen ist, aber in der mehr oder weniger fernen Zukunft liegt.
Oder ob wir unvermittelt in seine gleichgültigen, trüben Augen blicken.
Plötzlich konnte ich sie spüren, die Kälte in seinem Blick.
»Herr Gerlach?«, hörte ich Vangelis wie durch Watte.
Etwas klimperte zu Boden.
Mein Messer.
Durian hatte sich bei seinem idiotischen Banküberfall exakt an das Tatmuster seiner Vorbilder gehalten. Nur eine winzige Kleinigkeit hatte er übersehen: die Tatsache, dass die Entfernung zwischen der Bank und der nächsten Polizeidienststelle eine entscheidende Rolle spielte. Alles verlief zunächst planmäÃig. Er hatte schon seine Beute in einer mitgebrachten Penny-Markt-Tüte verstaut, trug bereits den Autoschlüssel der Kassiererin in der Hosentasche. Und als er eben dabei war, die letzte der drei Angestellten zu fesseln, stand plötzlich die Polizei vor der Tür.
Natürlich nahm er Geiseln.
Natürlich verschanzte er sich in der Bank.
Sicherheitshalber bewies er sogar, dass seine Waffe kein Spielzeug war, indem er ein Loch in die Glastür schoss. Ãbrigens hatte man nie geklärt, wie er in den Besitz seiner alten, aber gut gepflegten Beretta gekommen war.
Es wurde Nacht, und irgendwann im Lauf dieser endlos langen Nacht, ich kann nur ungefähr sagen, wann, kam ich ins Spiel.
Für einige Stunden war ich Durians Verhandlungspartner. Das Ende des Dramas hatte ich jedoch nicht mehr miterlebt, sondern war zu Hause gewesen, wo wieder einmal irgendeine kleine Katastrophe passiert war. Es war eine turbulente Zeit damals, mit zwei kleinen Energiebündeln von Töchtern, einer latent überforderten Ehefrau und einem Job, der geregelte Arbeitszeiten nicht kannte.
Im Grunde war es keine aufregende Sache gewesen. Die Bankangestellten verhielten sich vorbildlich ruhig. Der Täter war intelligent genug, sich nicht zu unüberlegten Aktionen hinreiÃen zu lassen. Niemand auf unserer Seite fühlte sich zum Helden
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