Eiskaltes Schweigen
berufen, niemand drehte durch oder begann herumzuschreien. Ich stieà erst relativ spät dazu, als Ablösung des Psychologen vom Landeskriminalamt. Da war es vielleicht zwei Uhr morgens.
Die Bankfiliale lag dunkel, seit Stunden hatte sich dort nichts mehr gerührt, und es herrschte eine fast entspannte Atmosphäre in unserer mobilen und schon ziemlich muffig riechenden Einsatzleitstelle. Man riss Witze, sah häufig auf die Uhr mit der unausgesprochenen Frage, ob man in dieser Nacht wohl noch eine Mütze voll Schlaf erwischen würde. Durian hatte abends Essen und Getränke in die Bankfiliale bringen lassen, vermutlich sogar ein wenig geschlafen, war dennoch natürlich ein Nervenbündel, aber im Grunde sah es wirklich gut aus.
Nur eine Kleinigkeit war bisher schiefgegangen. Durian hatte rasch begriffen, dass der für solche Fälle geschulte Kollege vom LKA ihn mit seinen psychologischen Tricks mürbe reden wollte. So hatte er sich bald quergestellt und einen anderen Gesprächspartner verlangt. Jemanden, dem er vertrauen konnte. Man hatte es zunächst mit unserem damaligen Dezernatsleiter versucht, aber auch dem hatte er bald nicht mehr geglaubt.
Und dann kam ich.
Wir verstanden uns auf Anhieb, Durian begann mir zu vertrauen, verlangte schlieÃlich das Ãbliche und längst Erwartete: einen groÃen, schnellen Wagen, mehr Geld als die zwanzigoder dreiÃigtausend, die seine Beute ausmachten, freien Abzug. Ich willigte in alles ein. Hielt ihn mit den üblichen Ausflüchten hin, um auf Tageslicht zu warten. Und im Lauf dieser Stunden entstand diese merkwürdige, fast freundschaftliche Stimmung zwischen uns, die sich einstellt, wenn es gut läuft bei einer solchen Geschichte.
Durian würde wegfahren, war der Plan, begleitet von einer jungen Bankangestellten. Wir würden ihn ziehen lassen und keinesfalls verfolgen. Letzteres war selbstverständlich eine Lüge gewesen, aber in seiner weltfremden Art hatte er mir auch in diesem Punkt geglaubt. Natürlich planten wir zuzuschlagen, sowie die Geisel auÃer Gefahr war. Natürlich dachten wir keine Sekunde daran, ihn entkommen zu lassen. Es wäre gegen jede Vorschrift gewesen.
Michael Durian, dessen Namen ich erst viel später erfahren und bald darauf wieder vergessen sollte, war müde, sehnte sich nach Ruhe, einer freundlichen Stimme, Geborgenheit, ein klein wenig Sicherheit. All das bot ich ihm.
Bis zum Ende hatte er geglaubt, er würde davonkommen.
Ich hatte ihn in diesem Glauben bestärkt.
Und das war es, was er mir vorwarf.
Was mich nun, nach über neun Jahren, das Leben kosten sollte.
22
Mittwochmorgen, vierter Februar.
Schnee, wieder einmal.
Ich lebte noch.
Meine Töchter hatten sich ein wenig über meinen zerstreuten Zustand gewundert. Ich hatte ihnen erzählt, ich fühle mich krank und werde erst später ins Büro gehen.
Nun stand ich am Küchenfenster und sah hinaus. Unten parkte ein Streifenwagen, in dem zwei Beamte mein Leben bewachten. Zwei weitere drehten Runde um Runde durch die Weststadt.
Hatte ich Angst? Ich war benommen, betäubt, gelähmt. So wie ich musste sich jemand fühlen, der unvermittelt von einer Krankheit erfahren hatte, die ihn in Kürze ins Grab bringen wird.
An die Rückfahrt nach Heidelberg erinnerte ich mich nicht mehr. Natürlich war Vangelis gefahren. Eines allerdings wusste ich noch: Schon da, schon zu diesem Zeitpunkt, hatte ich den ständigen Drang verspürt, mich umzusehen.
Sönnchen war hell entsetzt gewesen, hatte wohl auch heimlich ein bisschen geweint. Obwohl er immer noch fieberte, war Balke schon in der Direktion gewesen, als wir ankamen, hatte seine Soko zusammengetrommelt und gemeinsam mit Vangelis eine Krisensitzung veranstaltet, zu der ich nicht zugelassen war. Ergebnis waren unter anderem der Streifenwagen dort unten und ständige Begleitung für meine Töchter.
Morgens um halb sieben hatte damals der Wagen vor dem Eingang der Bank gestanden, ein viertüriger Opel Vectra mit fast zweihundert PS. Wie verlangt, mit laufendem Motor und offen stehenden Türen. Unsere Truppen zogen sich zurück, machten sich unsichtbar. Durian kam heraus, gedeckt von seiner erstaunlich gefassten Geisel. Die beiden stiegen ein, die Wagentüren fielen zu, und er machte seine Sache nicht einmal schlecht für einen Anfänger. Die Frau fuhr, der silbergraue Opel bog um eine Ecke, und Augenblicke später waren sie
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