Eiskaltes Schweigen
seinen digitalen Tricks verschiedene Versionen davon angefertigt: Durian mit Glatze, mit kurzen und mit langen Haaren, blond und dunkel, mit und ohne Brille. Jedes Hotel, jede Pension im Umkreis von hundert Kilometern hatte in den letzten Stunden Besuch von der Polizei bekommen. Jeder Streifenbeamte wusste, wie mein Mörder aussah. Wie er aussehen könnte.
Die ersten drei Karten an mich waren inzwischen in unserem Labor untersucht worden. Durian hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, Handschuhe zu tragen, als er sie schrieb und in den Briefkasten warf. Er hatte gewusst, dass das nicht nötig sein würde, weil ich zu dem Zeitpunkt, wo ich mich dafür zu interessieren begann, seinen Namen ohnehin schon kennen würde.
Natürlich hatte ich Angst. Wenn man diese merkwürdige, benommene Dumpfheit in meinem Kopf Angst nennen wollte.
Was hatte ich erwartet?
Was hätte ich geantwortet, hätte man mich vor einer Woche gefragt, wie ich auf eine solche Situation reagieren würde? Gelassen, hätte ich geantwortet, entschlossen, energisch, überlegt. Mutig vielleicht sogar.
Und nun stand ich da und starrte aus diesem blöden Fenster,ohne etwas zu sehen. Unter meiner linken Achsel drückte die ungewohnte Pistole.
Es stimmte ja nicht, es war keine Angst. Angst hat man vor einer realen Gefahr. Wenn es darum geht, entweder zu flüchten oder zu kämpfen. Dann schüttet unser Körper Hormone aus, die unser Herz schneller schlagen lassen, unsere Aufmerksamkeit aufs ÃuÃerste schärfen, unsere Hände feucht werden lassen, damit uns die Keule, die wir zu unserer Verteidigung so dringend brauchen, nicht aus der Hand gleitet.
Dies hier war etwas vollkommen anderes. Etwas Körperloses. Etwas unsäglich Gemeines und Banales. Mein Puls schlug völlig umsonst zu schnell. Meine Hände waren ganz sinnlos feucht. Es gab ja nichts zu tun. Nirgendwo war ein Feind in Sicht. Und ich hatte nicht einmal eine Keule.
Mein Handy summte in der Hosentasche.
Balke.
»Alles okay?«, fragte er heiser.
»Mir gehtâs prima«, log ich â wie ich fand â nicht einmal schlecht. »Ich komme dann bald ins Büro.«
»Die Streife wird Sie fahren.«
»Das ist nicht nötig. Ich kann selbst auf mich aufpassen.«
»Die Streife wird Sie fahren.«
Kaum hatte ich aufgelegt, meldete sich das Handy erneut. »Theresa« stand auf dem Display. Jetzt hatte mein Herz immerhin einen Grund, stärker zu klopfen. Wie lange hatte ich nichts mehr von ihr gehört?
»Was machst du nur für Sachen?« Ihre Stimme klang voller Sorge, und das tat mir unendlich gut.
»Wir werden ihn bald haben, keine Angst. Vermutlich heute noch. Spätestens morgen. Er hat nicht die geringste Chance.«
Selbst die gespielte Zuversicht, die ich in meiner Stimme hörte, tat mir gut.
»Können wir uns sehen?«
»Wann?«
»Jetzt?«
»Ich weià nicht â¦Â« Brachte ich sie dadurch in Gefahr? Unsinn. Durian konnte ja nicht überall sein, und ich war ja kein Anfänger. »Bin schon unterwegs«, hörte ich mich sagen.
Ich lieà mich von den Kollegen nach Neuenheim kutschieren, erzählte etwas von einem Zahnarzttermin. Dort bat ich den Fahrer, kurz hinter der Neckarbrücke rechts abzubiegen und gleich darauf anzuhalten. Ich murmelte ein Dankeschön, lief zurück und verschwand in der schmalen Ladenburger StraÃe. In diesen Sekunden liebte ich das Heidelberger EinbahnstraÃen-Wirrwarr, das es den armen Schupos jetzt völlig unmöglich machte, mir zu folgen. Ich lief schnell, sah immer wieder zurück. Zur Sicherheit machte ich noch einige Umwege durch das zu jeder Tageszeit vollgeparkte Neuenheim. Endlich war ich überzeugt, unbeobachtet zu sein, und eine Minute später stand ich atemlos in der Wohnung. Theresa kam nur wenige Augenblicke nach mir. Heute trug sie wieder die Perlenkette, die sie an dem Abend getragen hatte, als ich sie zum ersten Mal sah.
Wortlos nahm sie mich in die Arme und drückte mich an sich.
Sie wusste, hier gab es nichts zu reden. Es gibt Dinge, denen sind Worte nicht gewachsen. Da braucht es Ãlteres: Berührungen, Wärme, Gehaltenwerden.
Es fehlte wirklich nicht viel, und ich hätte geweint.
Lange blieben wir stumm.
Sie wusste alles, was es zu wissen gab, woher auch immer. Streichelte meinen Rücken, küsste mich. Wie man ein Kind küsst, das Mitleid braucht und
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