Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
nicht mehr zu sehen.
    Den Hubschrauber, der Durian mit weitem Abstand folgte, bemerkte er zu keinem Zeitpunkt. Auch nicht die unzähligen zivilen Einsatzfahrzeuge, die ihm folgten, die meiste Zeit außer Sichtweite, ihn in ständigem Wechsel überholten, sogar vor ihm herfuhren. Aus seiner Perspektive war alles ruhig, lief alles perfekt. Er ließ sich über die Rheinbrücke in die Pfalz chauffieren, bei Kandel wechselte der Opel auf die Bundesstraße nach Bad Bergzabern, in Richtung Westen. Dort gab es Berge und teilweise undurchdringliche Wälder. Bald wähnte Durian sich in Sicherheit, ließ die Fahrerin noch ein paar Haken schlagen, einmal sogar wenden und ein Stück zurückfahren. Aber wir hatten ihn ständig unter Kontrolle und verloren ihn nicht eine Sekunde aus den Augen. Nie waren unsere Leute weiter als zwei-, dreihundert Meter von ihm entfernt.
    Dann, eine Stunde nach der Abfahrt und knapp zehn Kilometer westlich von Bad Bergzabern, bog der Opel in einen dunklen Waldweg ein.
    Und fünf Minuten später trug Michael Durian Handschellen.
    All das war mir in den letzten Stunden nach und nach wieder eingefallen. Im Grunde war ich nur eine Randfigur gewesen. Ich hatte nichts entschieden, ich hatte nichts befohlen, ich hatte nur mit Durian telefoniert und seine Wünsche weitergeleitet. Ich hatte die ganze Angelegenheit längst vergessen gehabt, und selbst als vorgestern zum ersten Mal sein Name fiel, hatte ich keinen Zusammenhang hergestellt. Nicht einmal zu Durians Gerichtsverhandlung hatte man mich geladen, da ich nichts zur Aufklärung des sonnenklaren Sachverhalts hätte beitragenkönnen. Ein Ersatz war ich gewesen, für den unfähigen Psychologen des LKA, nichts weiter.
    Und dafür sollte ich nun also sterben.
    Was Durian mir übel nahm, war nicht, dass ich ihn um seine letzte Hoffnung und ins Gefängnis gebracht hatte. Er warf mir vor, dass ich sein Vertrauen missbraucht, dass ich ihn belogen hatte. Er hatte mir tatsächlich Wort für Wort geglaubt, was ich ihm in jenen Stunden am Telefon erzählt hatte.
    Dass wir ihn nicht verfolgen würden.
    Dass wir an seinem Fluchtfahrzeug keinen Sender anbringen würden.
    Durian hatte bis zu seiner Verhaftung an das Gute im Menschen geglaubt, an das Gute in mir.
    Es läutete an der Tür. Ich hatte ihn natürlich schon gesehen: den Briefträger.
    Um irgendetwas zu tun, um mich zu bewegen, ging ich hinunter. Ein einziger Umschlag lag im Kasten, mit der mir inzwischen so vertrauten runden Handschrift. Im Hinaufgehen riss ich ihn auf. Wieder eine Karte, wieder eine dieser gruseligen Radierungen. Dieses Mal gab es keine Lebenden mehr, sondern nur noch einen Haufen entsetzlich zugerichteter Leichen zu sehen. Und diesmal gab es auch keinen Bibelspruch:
    Willkommen am Ufer des Styx.
    Offenbar wusste Durian bereits, dass ich sein Buch entdeckt hatte. Woher? Wie konnte das sein?
    Â»Du sollst nicht falsch Zeugnis reden«, hatte ich an einer Stelle in seinem Buch gelesen, »das achte Gebot, ohne dessen Beachtung keine Kultur möglich ist, keine Zivilisation, kein menschliches Zusammenleben, das diese Bezeichnung verdient.«
    Er beobachtete mich. Er musste gesehen haben, wie wir die JVA betreten und später mit dem braunen Umschlag wieder verlassen hatten. War es vielleicht sogar Teil seines perversen Plans, dass ich meinen Namen entdeckte in seinem Buch der Kränkungen? Wer konnte wissen, was in seinem kranken Hirn vorging? Beobachtete er mich auch jetzt, in dieser Sekunde? Inder ich wieder an mein Küchenfenster trat, die Karte noch in der Hand?
    Auch die Lebensumstände seiner ersten drei Opfer hatte er penibel studiert. Er hatte genau gewusst, wann er sie wo antreffen würde. Durian handelte nicht spontan, sondern planvoll. Jeden seiner Schritte hatte er genau überlegt, vermutlich hundertfach durchdacht.
    Die meisten Verbrecher, mit denen ich im Lauf meines Polizeidienstes zu tun hatte, waren eher unterbelichtet. Hier war das Gegenteil der Fall. Durian war überdurchschnittlich intelligent. Er hatte Jahre Zeit gehabt, Pläne zu schmieden, Möglichkeiten durchzuspielen, Eventualitäten abzuwägen. Und selbst jetzt hatte er Zeit.
    Mein Mörder hatte so verflucht viel Zeit.
    Natürlich wurde seit gestern mit allem nach ihm gefahndet, was wir aufzubieten hatten. Balke hatte endlich brauchbare Fotos organisiert, aufgenommen anlässlich einer Weihnachtsfeier in der JVA, und mit

Weitere Kostenlose Bücher