Eiskaltes Schweigen
verdient.
»Ich bin nicht krank«, sagte ich schlieÃlich und löste mich von ihr. »Verstehst du, es ist nur â¦Â ein wenig ungewohnt für mich, meinen Namen auf einer Todesliste zu lesen.«
Sie lächelte, küsste mich auf die Nase.
»Setzen wir uns«, sagte sie. »Magst du etwas trinken?«
»Keinen Alkohol, bitte.«
Schon am gestrigen Abend hatte ich nur Wasser und Saft getrunken. Ich bildete mir ein, es würde helfen, nüchtern zu bleiben, einen klaren Kopf zu behalten. Geschlafen hatte ich nicht einmal schlecht. Viel geträumt, allerdings. Irres Zeug von schwindelerregend hohen Brücken, von deren Geländer ich baumelte in der Gewissheit, dass ich mich nicht mehr lange würde halten können. Einstürzende Häuser, deren mächtige Staubwolken mich selbst im Schlaf noch an die Bilder vom elften September zweitausendeins erinnerten.
»Ich mache Tee«, sagte Theresa mit wohltuender Souveränität.
»Was du willst.«
Dann saà sie neben mir und hielt meine Hand. Das machte das Teetrinken ein wenig umständlich, aber ich fand es in Ordnung so.
»Es ist wegen Egon«, begann sie, nachdem wir an unseren Tassen genippt hatten.
»Was ist mit ihm?«
»Er ist sehr krank.« Sie stellte ihre Tasse mit übertriebener Vorsicht ab. »Was du nicht weiÃ, was fast niemand weiÃ: Egon hatte vor Jahren Lungenkrebs. Er wurde durch einen glücklichen Zufall sehr früh entdeckt, die Operation war erfolgreich. Seither raucht er übrigens nicht mehr. Früher hat er ja geraucht wie ein Schlot.«
Endlich verstand ich, was er an seiner Sammlung kostbarer und niemals angesteckter Zigarren so interessant fand.
»Seither darf er nur noch an seinen Zigarren schnuppern.« Theresa lächelte kurz, räusperte sich.
Mein Handy summte. Balke, las ich auf dem Display. Er würde wütend auf mich sein. Nichts ist ärgerlicher für einen Polizisten, als für die Sicherheit eines Menschen die Verantwortung zu tragen, der nicht kooperiert. Ich lieà es summen.
»Und jetzt ist der Krebs wieder ausgebrochen?«
»Es ist noch nicht ganz sicher. Erst war es nur eine Grippe, die einfach nicht besser wurde, und der ewige Husten. Vor zwei Wochen haben sie im Röntgenbild die Schatten entdeckt. Aber für die weiteren Untersuchungen muss er erst wieder ganz gesund werden. Seither liegt er in der Klinik. Ich verstehe nicht viel von Medizin. Aber eines habe ich verstanden: Wenn es wieder Krebs ist, dann wird es schlimm.«
»Und deshalb wolltest du mich nicht mehr sehen?«
»Versteh doch â¦Â« Sie bedeckte die Augen mit der einen Hand und drückte mit der anderen die meine.
»Klar, verstehe ich«, sagte ich lahm. »Vermutlich hätte ich in deiner Situation genauso gehandelt.«
Der Tee und seine Wärme taten mir gut. Es fühlte sich an, als würde tief in meinem Bauch das Leben von Neuem beginnen.
Theresa hielt immer noch meine Hand.
Ich war es einfach noch nicht gewohnt, der Leidtragende zu sein. Der, um den man sich Sorgen macht. Bisher war immer ich es gewesen, der sich sorgte. »Sobald es überstanden ist, kann alles wieder so sein wie früher«, sagte Theresa.
»Das ist gut.«
»Alexander, es zerreiÃt mich!«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Ich muss doch zu ihm halten. Und ich will zu dir halten. Beides zugleich geht nicht, verstehst du nicht?«
Plötzlich lagen wir uns wieder in den Armen und hielten uns ganz fest.
23
Den Rest des Vormittags verbrachte ich im Büro mit Routinekram, bei dem man nichts falsch machen konnte. Sönnchen umsorgte mich, als läge ich im Sterben. Ihre Stimme klang merkwürdig hohl, ihre Augen glitzerten oft verdächtig.
In der Direktion war ich in Sicherheit, sagten wir uns. Sicherer als an jedem anderen Ort der Welt. Meine Dienstwaffe lag griffbereit und durchgeladen auf dem Schreibtisch.
Balke und Vangelis hatten wegen meines vorübergehenden Verschwindens kein Wort verloren. Natürlich waren sie stocksauer. Da ich aber ihr Vorgesetzter war, konnten sie schlecht mit mir schimpfen. Meine Töchter wussten bisher nichts von der Bedrohung. Sie wurden diskret beobachtet und bewacht, seit sie heute Morgen das Haus verlassen hatten.
Gegen Mittag erschienen Klara Vangelis und Sven Balke bei mir. Ihre Mienen waren ernst, ihre Absichten offensichtlich.
»Wir haben alles noch einmal durchdiskutiert«,
Weitere Kostenlose Bücher