Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Wasser gestarrt … er war ungewöhnlich gekleidet, ganz rot.«
»Frau Ilander hat diesen Mann angesprochen, obwohl sie gar nicht wusste, wer das war?«
»Ja. Aber wenn man sie kennt, ist das nicht so ungewöhnlich. Jaana war … sehr direkt, sie hat meistens einfach gemacht, was ihr gerade in den Sinn kam. Und sie fand merkwürdige Menschen wie diesen Mann immer besonders interessant.«
»Hat sie ihn später noch mal erwähnt?«
»Nein. Wir haben uns allerdings seitdem nicht oft gesehen … eigentlich haben wir nur ein paarmal telefoniert … wie gesagt, sie hat immer wenig erzählt …«
»Aber Sie haben den Mann gesehen …«
»Nicht richtig.«
»Sie waren doch dabei, als Frau Ilander ihn angesprochen hat …«
»Ja, aber er saß auf einer Bank mindestens hundert Meter weit weg. Und ich war im Wasser.«
Er bleibt unsichtbar, dachte Joentaa.
»Dennoch: Wie haben Sie ihn in Erinnerung? Wie sah er aus?«
»Wie gesagt. Ganz in Rot. Etwas längere Haare. Irgendwie schmal. Nicht besonders groß, nicht klein. Unauffällig, wenn er nicht diese komischen Kleider angehabt hätte.«
»Können Sie sich vorstellen, ihn wiederzuerkennen?«
Sie überlegte kurz. »Ich fürchte, nein. Wenn ich jetzt versuche, ihn mir vorzustellen, habe ich kein Bild vor Augen. Ich glaube eigentlich auch nicht, dass Jaana seit diesem Tag noch irgendwas mit ihm zu tun hatte.«
Joentaa nickte. Er glaubte das durchaus, er war sich sicher.
Er stellte weitere Fragen und erhielt Antworten, die ihn nicht weiterbrachten. Antworten, die ihn an die von Arto Ojaranta, Kerttu Toivonen und Annette Söderström erinnerten. Vollkommene Hilflosigkeit angesichts eines nicht für denkbar gehaltenen Ereignisses.
Er führte noch einige Telefonate, ohne greifbare Informationen über den jungen Mann zu erhalten, der mit Jaana Ilander Wein getrunken hatte und der vermutlich ihr Mörder war. Zwei Schauspielerinnen des Theaters, an dem Jaana Ilander gespielt hatte, sagten etwas Interessantes, das ihm dennoch nicht weiterhalf und ihn nicht mehr überraschte: Ja, sie erinnerten sich. Jaana hatte einen jungen Mann kennengelernt, und einmal war er in der Vorstellung gewesen.
Nein, sie hatten ihn nicht gesehen.
Nein, Jaana hatte nur beiläufig und ein wenig amüsiert gesagt, er sei ein bisschen ungewöhnlich, ein Eigenbrötler.
»Sie hat sich am Abend nach der Vorstellung geärgert, weil sie ihn suchen musste«, sagte eine der Schauspielerinnen.
»Wieso musste sie ihn suchen?«, fragte Joentaa.
»Er war weg. Sie wollte ihn uns vorstellen, aber er war verschwunden.«
»Hat sie ihn gefunden?«
»Ich weiß nicht … ja, ich glaube … er hatte draußen auf sie gewartet, und sie sind zusammen weggegangen.«
»Sie haben ihn wirklich nicht gesehen, nicht mal kurz oder von Weitem?« Joentaa kannte die Antwort.
»Nein … tut mir leid.«
Unsichtbar …
Als Kimmo Joentaa am Abend nach Hause fuhr, spukte dieses Wort in seinem Kopf, und als er einen Weg aus dem Gedankengang suchte, dachte er an Ketola … auch Ketola war nicht mehr aufgetaucht.
Während er sich bei leichtem Schneefall durch den abendlichen Berufsverkehr quälte, wusste er plötzlich, wo Ketola gewesen war. Nurmela hatte er wahrheitsgemäß erklärt, dass er leider keine Ahnung habe, Nurmela, der mit hochrotem Kopf ins Büro gestürmt war, während er die Namen und Nummern auf der Telefonliste abgearbeitet hatte. Joentaa hatte wirklich nicht gewusst, wohin Ketola gegangen war, aber jetzt wusste er es. Ins Krankenhaus, natürlich, zu seinem Sohn, von dem er ihm kurz vor der Pressekonferenz erzählt hatte.
Auch wenn Ketola in Rätseln gesprochen hatte, Joentaa glaubte inzwischen zu begreifen, dass Ketolas Sohn Drogenprobleme hatte. Ketola hatte ihm das offenbart, in seiner merkwürdig distanzierten Art, aber es war ungewöhnlich, sehr ungewöhnlich, dass er es überhaupt zur Sprache gebracht hatte.
Joentaa bog von der Landstraße auf den Waldweg ab. Es schneite inzwischen stärker. Durch das Schneetreiben und die Bäume sah er das Haus, Sannas Haus, in dem Licht brannte.
Er parkte den Wagen unter dem verschneiten Apfelbaum. Natürlich brannte Licht, er hatte Besuch.
Er spürte, dass ihn das freute, es war ein schöner Gedanke, an diesem Abend nicht allein zu sein.
5
Daniel Krohn hatte niemanden angerufen.
Nicht Marion. Nicht Tina. Nicht Oliver.
Er hatte den Nachmittag im Wohnzimmer auf dem Sofa verbracht und sich von der schneeweißen Landschaft hinter dem Fenster langsam einlullen lassen.
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