Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
…«
Annas Geklimper lenkte ihn ab, sie spielte wieder dieses Lied, das sie schon bei seinem letzten Besuch gespielt hatte, das Lied, das er kannte und dessen Titel ihm nicht einfiel.
»Anna!«, mahnte Raija Ojaranta, die hinter ihrem Bruder stand und seine Schultern massierte.
»… den Zeitraum einzugrenzen, in dem das Bild …«, sagte Joentaa.
»Ich weiß genau, was passiert ist«, sagte Ojaranta.
»Nein, ich meinte …«
»Ich weiß, was Sie meinen. Sie wollen wissen, wann das Bild zurückgebracht wurde, und ich weiß es. Meine Schwester war am Abend hier. Als sie kurz vor zehn gegangen ist, war das Bild noch nicht da …«
»Sind Sie sicher?«
»Ich bin sicher, weil …«
»Wir haben uns die leere Nische angesehen«, unterbrach Ojarantas Schwester. »Als Arto meinen Mantel aus dem Kleiderschrank genommen hat, hat er mir die Nische gezeigt und gesagt, dass da früher dieses verschwundene Bild hing und ob ich mich daran erinnern könne … mir war es, ehrlich gesagt, nie aufgefallen.«
»Mir doch auch nicht«, murmelte Ojaranta vor sich hin. »Deswegen hing es doch da, weil ich es nicht sehen wollte.«
»Kennen Sie dieses Lied?«, fragte Joentaa, einem Impuls folgend.
»Bitte?«
»Dieses Lied, das Anna da spielt …«
Ojarantas Schwester lachte schallend. »Anna spielt doch keine Lieder, sie kann gar nicht spielen!«
Joentaa nickte und zwang sich, den Gedanken abzuschütteln. Er spürte, dass er endlich schlafen musste. Wieso schlief eigentlich Anna nicht? »Zurück zu dem Bild. Sie sagen …«
Er hielt wieder inne, weil ihn die plötzliche Stille irritierte. Anna hatte aufgehört zu spielen und starrte wütend ihre Mutter an.
»Wenn es so ist, wie Sie sagen …«
Ohrenbetäubender Lärm. Anna schlug wild auf die Tasten ein, um ihrer Mutter zu beweisen, dass sie sehr wohl spielen konnte. Ihre Mutter war in Sekunden bei ihr, gab ihr zwei Ohrfeigen, hob sie vom Klavierstuhl und brachte sie aus dem Zimmer. Anna weinte. Ojaranta hing auf dem Sofa, als habe er weder den Lärm noch den Auftritt seiner Schwester registriert. »Das Bild war um kurz vor zehn noch nicht da, um elf war es da. Ist doch ganz einfach«, sagte er genervt.
»Sie haben es um elf gefunden?«
Ojaranta nickte.
»Aber Ihr Anruf bei uns kam viel später … gegen zwölf …«
»Ich habe nach dem Fund eine Weile gebraucht, bis ich wieder geradeaus gehen konnte, verstehen Sie?«
Joentaa verstand. Natürlich. Und dennoch dachte er widerwillig, dass sie den Täter vielleicht in Jaana Ilanders Wohnung hätten stellen können, wenn Ojaranta seinen Schock schneller überwunden hätte.
»Wie geht es Ihnen jetzt?«, fragte er.
»Ganz hervorragend, wie Sie sehen«, entgegnete Ojaranta.
»… Sie haben doch die Schlösser auswechseln lassen …«
»Klar.«
»Und es gibt keine Spuren eines gewaltsamen …«
»Klar.«
»Wie konnte der Täter …«
»Er kann alles.«
»Aber …«
»Nein, Sie müssen das wirklich begreifen. Er kann alles. Es ist wichtig, das zu begreifen. Er hätte mich auch umbringen können, wenn er gewollt hätte. Kein Problem. Vielleicht hat er das nur verschoben. Vielleicht bin ich morgen schon tot …«
»Ich verstehe Ihre Angst, aber ich glaube, dass Sie nichts zu befürchten haben.«
»Was Sie alles verstehen und glauben, das ist wirklich ganz toll!«
»Ich kann Ihnen natürlich ein Hotelzimmer …«
»Nein, danke.« Ojaranta erhob sich, abrupt, als hätte er genug von dem Gerede. Er stand einige Sekunden unschlüssig, dann ließ er sich wieder auf das Sofa fallen.
»Tun Sie mir einen Gefallen?«
»Gerne … wenn ich kann …«
»Sorgen Sie dafür, dass meine Schwester endlich verschwindet.«
»Wir werden vor Ihrem Haus zwei Beamte postieren …«
»Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?«
»Ja, ich werde gleich mit Ihrer Schwester sprechen.«
»Jetzt!«
»Herr Ojaranta …«
»Mann!« Ojaranta stand wieder auf, dieses Mal impulsiv und entschlossen, er ging zielstrebig Richtung Flur, wo seine Schwester deutlich vernehmbar auf die weinende Anna einredete. Auf halbem Weg schien Ojaranta zur Besinnung zu kommen, er blieb stehen, seine breiten Schultern senkten sich, bis er erneut in der gebückten Haltung dastand, in der Joentaa ihn angetroffen hatte. Er machte kehrt und ließ sich wieder auf das Sofa fallen.
»Ich habe nichts mehr zu sagen und werde jetzt sehr lange schlafen«, sagte er und schloss demonstrativ die Augen.
10
Gleich morgen würde er Tommy besuchen.
Er würde ihn überraschen,
Weitere Kostenlose Bücher