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Eismord

Eismord

Titel: Eismord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Überlegungen.
    »Du hältst es zu locker«, sagte Papa. »Drück dir den Schaft fest an die Schulter. Fester. Du willst, dass der Rückstoß durch dich hindurchgeht und dir keinen Schlag versetzt.«
    Sie tat, was er sagte. Der Hase machte drei Hopser und blieb noch einmal sitzen, um Witterung aufzunehmen. Nikki hatte ihn im Visier. Ihr Herz pochte ihr im Hals.
    »Jederzeit«, flüsterte Papa. »Nicht sinnvoll, zu warten.«
    »Ich kann nicht.«
    »Wenn du Hühnchen essen kannst, dann kannst du auch einen Hasen töten.«
    »Ich kann nicht.«
    »Kann nicht – bringt nichts, kann nicht – leistet keinen Beitrag zum Gemeinwohl. Kann nicht – bringt deinem Bruder kein Essen auf den Tisch. Kann nicht – ist etwas für Schwächlinge und Scheinheilige. Trag die Verantwortung für dein Leben. Du bist aus Fleisch und Blut, und du lebst von Fleisch und Blut.«
    »Ich werde mich wie der letzte Dreck fühlen, wenn ich ihn abknalle.«
    »Tu’s.«
    »Ich kann nicht.«
    »Tu’s.«
    Sie drückte ab, und dann passierte alles auf einmal: der heftige Rückstoß gegen ihre Schulter, der Knall in ihrem Ohr und der Hase, den es hochgehoben und zur Seite geschleudert hatte, während ein roter Sprühregen auf den Schnee niederging.
    »Und das ist unser Abendessen«, sagte Papa.
    Er drehte sich zu ihr um und sah sie an, doch Nikki rührte sich nicht, sondern zielte immer noch, während allmählich das Gefühl in ihre Schulter zurückkehrte.
    »Er bewegt sich noch.« Sie hörte die Panik in ihrer Stimme, die schrillere Tonlage, war den Tränen nahe.
    »Geh hin und gib ihm den Rest.«
    Nikki sprang auf, trat wie wild in den Schnee, um einen Stein zu finden oder einen großen Stock, egal, was. Alles lag unter einer dicken Schneeschicht. Der Hase versuchte, aufzustehen, doch er war an der Schulter getroffen, und seine Vorderpfoten funktionierten nicht.
    »Mein Gott«, sagte Nikki. »Ich kann nichts finden. Hier ist nichts.«
    »Schieß noch einmal auf ihn. Geh nah ran und gib ihm einen Schuss in den Kopf. Und schieß dir nicht in den eigenen Fuß.«
    Nikki kletterte über den Stamm. Mit den Schneeschuhen war es schwierig, und sie verstauchte sich beinahe den Knöchel. Sie lief die Böschung hinunter, und der Hase kämpfte noch verzweifelter. Sein linker Vorderlauf glänzte vom Blut, und rings um ihn leuchtete es rot im Schnee.
    Nikki zielte wieder. Das schwarze, schimmernde Auge des Tiers sah sie mit wildem Blick an, und obwohl sie erst dreizehn Jahre alt war, erkannte sie darin den universalen Schrei der Kreatur nach Leben. Sie nahm ihn ins Visier, doch bevor sie abdrücken konnte, ließ der Hase den Kopf auf den Schnee sinken, und das, was ihn zu einem lebendigen Geschöpf gemacht hatte, verließ den kleinen Körper. Das schwarze, schimmernde Auge wurde stumpf und erstarrte mitten in seinem letzten Versuch, sich zu schließen.

[home]
    33
    A m Donnerstag flogen Cardinal und Delorme nach Toronto und fuhren mit einem Leihwagen weiter zum Leichenschauhaus. Der Pathologe hatte wenig Überraschendes zu bieten. Irv Mendelsohn starb an einer Schusswunde im Kopf. Auch die Einschusswunde in der Brust wäre für sich genommen tödlich gewesen, hätte nicht die Zertrümmerung des Schädels vorher zum Exitus geführt.
    Bei der Ballistik äußerte Cornelius Venn in seiner speziellen Mischung aus Paranoia und Feindseligkeit die Überzeugung, dass die Kugeln aus einer Browning Hi-Power .9 Millimeter abgegeben worden seien – dem gleichen Modell und Fabrikat wie die Mordwaffe bei den Bastovs, jedoch nicht die identische Waffe. Dagegen war es sehr wohl dieselbe Waffe, mit der auch der Junge am Geldautomaten getötet worden war.
    Eine halbe Stunde später fuhren sie auf der 427 Richtung Flughafen.
    »Wir wissen, dass der Junge mit dem Mörder der Bastovs zusammen war. Und dass sein Mörder auch Mendelsohn auf dem Gewissen hat – womit es sehr wahrscheinlich ist, dass es entweder der Mann war, der ihm geholfen hat, den Wagen am Flughafen zu stehlen, oder jemand anders, der sich später zu ihnen gesellt hat. Aber wieso sollte derjenige – oder auch diejenigen – ihn umbringen, während er gerade einen Automaten ausraubt?«
    »Diebe streiten sich«, sagte Cardinal. »Passiert ständig.« Er wechselte die Spur und nahm die Abzweigung zum Flughafen.
    Delorme dachte weiter laut nach. »Woher wusste diese Person oder wussten diese Personen überhaupt von Mendelsohn?«
    »Na ja, dumm sind die nicht«, antwortete Cardinal. »Offenbar wissen die, wie man

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