Eismord
Kaschmirpullover, ein Fünfzehn-Zoll-Apple-Laptop.
Cardinal trug ihn zum Schreibtisch und öffnete ihn neben dem Telefon. »Mr. Dee, haben Sie eine Liste von Anrufen, die sie geführt oder bekommen haben?«
»Ferngespräche schon. Die Ortsgespräche müssen Sie sich von der Telefongesellschaft geben lassen.«
»Könnten Sie bitte für uns nachsehen?«
Cardinal verbrachte einige Zeit mit Irena Bastovs Computer. Als Erstes sah er sich ihre Browser-Chronik an. Zuletzt hatte sie Yahoo aufgerufen! Post! E-Mails konnten eine Goldgrube sein, auch wenn sie dafür ihr Passwort brauchten. Vor Yahoo kamen Suchdurchläufe nach hiesigen Restaurants sowie Seiten mit Testergebnissen zu verschiedenen Arten von Skistiefeln. Davor eine Immobiliensuche. Cardinal klickte sie an. Er stieß auf ein paar Webpages zu Algonquin Bay und eine andere in Huntsville.
»Offenbar wollten sie ein Haus kaufen.« Cardinal öffnete ihr Adressbuch. Viele der Einträge bestanden aus einem einzigen Namen und einer E-Mail-Adresse, von Anton bis Zara.
»Komm, sieh dir das an«, sagte Delorme.
Cardinal trat neben ihr in den begehbaren Kleiderschrank.
»Du musst auf die Knie gehen, um es zu sehen.«
Cardinal kniete sich hin.
»Schau dir den Saum ihres Rocks an, der lange da.«
Cardinal musste seine Lesebrille aufsetzen. »Sägemehl«, sagte er. »Sie sieht wie eine Prinzessin aus. Wie kommt sie an Sägemehl?«
»Oh, das ist leicht zu erklären.« Mr. Dee hatte erneut seinen Posten an der Tür bezogen. »Das Skiliftgehäuse und die Verbindungsbrücke werden gerade renoviert. Die Arbeiten sollten eigentlich vor vier Wochen abgeschlossen sein, aber sie benutzen alle möglichen verschiedenen Holzarten, und sie bekamen Zeder und Mahagoni zu spät geliefert. Jedenfalls ist da jede Menge Sägemehl. Nach ihrer Ankunft sind die beiden rausgegangen und haben die Anlage inspiziert. Die Rezeption sagt übrigens, sie hätten eine Reihe Ferngespräche geführt. Ich hab die Nummern für Sie ausdrucken lassen.« Er reichte ihnen ein Blatt Papier.
Cardinal nahm es entgegen und überflog es. »Hey, kleiner Glückstreffer«, sagte er zu Delorme. »Die erste Nummer, die sie angerufen haben, ist die erste in ihrem Adressbuch. Ein Mann namens Anton.«
Er zückte sein eigenes Handy und wählte die Nummer. Voicemail. Eine tiefe Stimme, schwer einzuordnender Akzent, kultiviert.
Hier spricht Anton Bastov. Hinterlassen Sie eine Nachricht, und ich rufe zurück.
»Ich will ja nicht drängeln«, sagte Mr. Dee, »aber wären Sie dann so weit fertig?«
Hinter ihm erschienen Paul Arsenault und Bob Collingwood im Flur, beide in den gleichen Bunny-Overalls, beide einen schwarzen Spusi-Koffer in der Hand.
[home]
9
C ardinal und Delorme ließen das Team der Spurensicherung im Hotel zurück und fuhren zum Lagerhaus der »Algonquin Bay Fur Harvesters«, das an der Grenze zwischen den äußeren Stadtbezirken und dem Nipissing First Nation Reservat lag.
Das Lagerhaus bestand aus einem Büro an der Eingangsseite, einer großen Ausstellungshalle sowie mehreren kleineren Verkaufsräumen zur Präsentation bescheidenerer Chargen. Cardinal und Delorme wurden vom Geschäftsführer Hank Stromberg herumgeführt, einem Mann mit einem ordentlich gestutzten grauen Bart und Haar in der Farbe von Nikotin. Er behandelte sie zuvorkommend, wenn auch mit der angespannten Höflichkeit eines Autohändlers gegenüber einem Interessenten, der nie im Leben kaufen wird.
Die Bären – das heißt, ihre Felle – waren auf einem großen Tisch ausgebreitet: schwarz, dunkel- und hellbraun, mit ausgestreckten Beinen und erhobenem Kopf, was an Brustschwimmer erinnerte. Auf einem nicht weit entfernten zweiten Tisch lag ein Dutzend Eisbärfelle.
»Aber die sind doch vom Aussterben bedroht«, sagte Delorme. »Wie können Sie die immer noch verkaufen?«
»Der Eisbär ist nicht bedroht«, antwortete er. »Jedenfalls nicht in diesem Land.«
»Was soll man denn mit einem Eisbärfell? Wer kauft die denn?«
»Vorwiegend Russen. Sie stopfen sie aus. Stellen sie in die Eingangshalle ihrer Büros. Macht Eindruck.«
Männer in weißen Laborkitteln liefen von einer Charge zur nächsten, befühlten Felle, machten sich Notizen.
Cardinal zeigte in ihre Richtung. »Wer sind die Jungs mit den Klemmbrettern?«
»Einkäufer. Sie können die Ware nur noch bis heute Abend begutachten. Am Freitag hatten wir Biber. Auf alles andere können sie bis morgen Abend bieten.«
»Und Irena Bastov war eine
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