Eismord
eintraf, saß sie schon in einer Nische. »Klassische bemitleidenswerte, alleinstehende Frau, nicht wahr? Lädt den Kerl ein, ist als Erste da und hat das erste Glas Wein intus.«
»Das Wort bemitleidenswert käme mir nicht in den Sinn«, sagte Cardinal. »Sie sehen toll aus.«
Seit fast dreißig Jahren hatte er außer Catherine keiner Frau mehr so etwas gesagt. Und natürlich entsprach es ganz und gar der Wahrheit. Er hätte nicht gewusst, ob es an der Farbe ihres Pullovers oder daran, was sie mit ihrem Haar gemacht hatte, oder an den silbernen Ohrringen lag.
»Ist mir jetzt wirklich peinlich, dass ich so direkt war«, sagte sie, »und dann auch noch der Vorschlag, Ihre Frau mitzubringen. Ich hab Sie gegoogelt und – toller Schachzug, Donna.«
»Konnten Sie schließlich nicht wissen«, sagte Cardinal. Er drehte an seinem Ring. »Ich weiß, dass ich ihn abnehmen sollte. Ist jetzt über ein Jahr her. Aber wir waren lange verheiratet.«
»Ja, das verwundert mich nicht. Sie sind definitiv der Typ. Beständig. Zuverlässig. Gesicherte Stellung.« Sie nahm einen Schluck Wein. »Sagen Sie, Ihr Nachname ist Native American, richtig? Tut mir leid – Native Canadian.«
»In meinem Fall stammt er aus Schottland. Meine Großeltern kommen aus Fife, wo, zum Teufel, das auch liegen mag.« Cardinal zeigte auf das Glas in ihrer Hand. »Soll ich eine Flasche davon bestellen?«
»Unbedingt.«
DeGroots war besser besucht als gewöhnlich. Es war ein kalter Abend, und die Gäste wurden von guter Hausmannskost angelockt, von Kerzen und einem prasselnden Feuer im Kamin. Als der Wein serviert wurde, erzählte Donna Cardinal, wie sie Journalistin geworden war. Sie hatte sich zwischen Journalismus und Politik entscheiden müssen, und die Tatsache, dass sie Politiker nicht ausstehen konnte, hatte ihr Schicksal besiegelt. Nach dem College hatte sie bei einer Reihe Kleinstadt-Zeitungen gearbeitet und irgendwann bei der
Post
angeheuert, nur um ein paar Jahre später einer Personalkürzung zum Opfer zu fallen.
Ihr Salat wurde gebracht, und Cardinal erzählte ihr, wie er Cop geworden war. Er war jung gewesen, gerade dabei, seinen Studienabschluss zu machen, in Psychologie. Zu dieser Zeit wurde er, wenn auch nur am Rande – Freund einer Freundin –, mit einem Mord konfrontiert, und die Detectives, die in dem Fall ermittelten, schienen ihre Arbeit nicht besonders gut zu machen. Cardinal ließ sich auf die Sache ein und half ihnen dabei, den Täter zu fassen.
»Warten Sie«, sagte Donna und hielt ihre Salatgabel hoch. »Da war eine Frau im Spiel. Jungfrau in Nöten.«
Cardinal lächelte.
»Wusste ich’s doch.« Das Kerzenlicht schimmerte in ihren Augen, und noch etwas anderes, das Cardinal nicht ganz einordnen konnte.
Er lächelte. »Ein Jahr später haben wir geheiratet.«
Donna schüttelte den Kopf. »Sie sind so kanadisch.«
Der Kellner trug ihre Salatteller ab und ersetzte sie durch die Teller mit den Steaks.
»Wieso sagen Sie das?«, fragte Cardinal.
»Weil Sie diese erstaunlichen Dinge tun, ein erstaunliches Leben führen und nicht einmal merken, wie erstaunlich es ist. Wie selten. Ein Amerikaner würde Ihnen die Höhepunkte in fünf Minuten aufzählen. Er würde seine Memoiren durch einen Ghostwriter schreiben lassen. Er wäre Berater bei einer Fernsehserie.«
»In dem besagten Fall habe ich nichts getan, das nicht absolut vorhersehbar gewesen wäre. Ich war ja noch grün hinter den Ohren. Lag wirklich daran, dass die Ermittler nicht überzeugend waren und Indizien übersehen haben, die sie nicht übersehen durften.«
»Mag ja sein, aber auch, wie Sie Ihre Frau kennengelernt haben. Und dann sind Sie für die nächsten Gott weiß wie vielen Jahre verheiratet und tun so, als wäre das die normalste Sache der Welt.« Sie berührte seine Hand. »Bleiben Sie unbedingt, wie Sie sind. Was sehen Sie mich so an?«
»Ich versuche rauszubekommen, ob Sie immer so freundlich sind. Oder ob es damit zu tun hat, dass Sie Journalistin sind und glauben, dass ich Ihnen bei Ihrer Story helfen kann.«
»Ich bin Amerikanerin. Wir sind ziemlich forsch.«
Cardinal schüttelte den Kopf. »Meine Frau war Amerikanerin, und sie war überhaupt nicht so. Aber Sie scheinen zu sagen, was Sie denken, und sich einen Teufel darum zu scheren.«
»Nur zu. Versuchen Sie’s.«
»Was soll ich versuchen?«
»Etwas sagen und sich den Teufel darum scheren, dass Sie Polizist sind oder ob es sich gehört oder was weiß ich. Was empfinden Sie im Moment?
Weitere Kostenlose Bücher